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Oktober 2024

Warten auf Hubertus

Viele Arbeitnehmer hoffen jetzt auf die Bundesregierung. Die hatte ein Recht auf Homeoffice angekündigt. So steht es im Koalitionsvertrag der Ampel. Konkret hatte Arbeitsminister Hubertus Heil einen Rechtsanspruch von 24 Tagen Homeoffice im Jahr geplant – sofern keine nachvollziehbaren Gründe dagegensprechen. Nicht zum ersten Mal: Bereits 2020 hatte er einen Antritt gestartet, war aber am damaligen Koalitionspartner CDU gescheitert. Umgesetzt wurde dieser erneute Versuch aber nicht, obgleich er im Koalitionsvertrag steht…. Das Bundesarbeitsministerium hat lediglich unverbindliche Maßnahmen für den Arbeitsschutz bei hybrider Bildschirmarbeit präsentiert. Den Grünen im Bundestag reicht das nicht. Sie pochen auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag und das Recht auf Homeoffice.

Harte Kritik kommt (na?) natürlich von der Union. Ein Recht auf Homeoffice sei wirtschaftsfeindlich, betont die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU, Julia Klöckner: „Unsere Wirtschaft hat zurzeit wirklich ganz andere Probleme, als dass sie sich jetzt wieder mit bürokratischen Auflagen und Umstellungskosten beschäftigen müsste.“

Und was sagt Herr Heil? Kommt das Recht auf Homeoffice noch wie vereinbart? Man wolle die Entwicklungen im Blick behalten und „überprüfen, ob und gegebenenfalls welche Anpassungen des Rechtsrahmens erforderlich sind“. Auch auf die Nachfrage, ob das Vorhaben überhaupt noch umgesetzt wird, antwortet eine Sprecherin nur ausweichend, man beobachte und prüfe das.

Arbeitszeitgutschrift für Betriebsratstätigkeit im Erholungsurlaub

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz | Urteil vom 13.06.2024 | Aktenzeichen 5 Sa 255/23

Was ist, wenn ich als Betriebsrat Betriebsratsarbeit in meinem Erholungsurlaub mache? So eine oft gestellte Frage von vielen Betriebsräten. Der Kläger ist im vorliegenden Fall Vorsitzender eines fünfköpfigen Betriebsrats. Er hatte in der Zeit vom 19. bis 23.12.2022 Erholungsurlaub. Diesen unterbrach er mehrfach, um eine Betriebsversammlung vorzubereiten, durchzuführen und nachzubereiten. Anschließend verlangte er von der Arbeitgeberin, dass diese seinem Arbeitszeitkonto 18,5 Stunden gutschreibt. Dies lehnte die Beklagte aber ab. Nachdem das Arbeitsgericht in erster Instanz die Klage des Betriebsrats auf Stundengutschrift abgewiesen hatte, hat der Kläger gegen das Urteil Berufung eingelegt, die aber auch vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz erfolglos blieb. Ein Anspruch auf Zeitgutschrift erfolgt weder aus den § 37 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz, noch aus den § 37 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz. Nach § 37 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz sind nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder zur Durchführung erforderliche Betriebsratstätigkeit ohne Entgeltminderung von der Arbeitsleistung zu befreien. Laut LAG scheitert ein solcher Anspruch aber bereits daran, dass der Kläger in seinem Erholungsurlaub nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Er ist in seinem Erholungsurlaub von der Arbeit befreit. Ein Anspruch auf Zeitgutschrift folgt auch nicht aus § 37 Absatz 3 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz. Danach hat ein Betriebsratsmitglied zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes. Betriebsbedingte Gründe liegen jedoch regelmäßig nicht vor, wenn sich ein Betriebsratsmitglied entschließt, während der ihm erteilten Arbeitsbefreiung Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen. Insbesondere stellt Urlaub keinen betriebsbedingten Grund dar. Letztlich darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass Urlaub einen Verhinderungsfall darstellt und in einem solchen Fall der Betriebsratsvorsitzende durch seinen Stellvertreter vertreten wird. Dieser hätte die Betriebsversammlung vorbereiten können. Insofern ist Betriebsratsarbeit in der Urlaubszeit eine freiwillige Leistung, die nicht vergütet wird.

Schadensersatz wegen entgangener variabler Vergütung

Bundesarbeitsgericht | Urteil vom 03.07.2024 | Aktenzeichen 10 AZR 171/23

Ein Mitarbeiter stritt mit seiner Arbeitgeberin über Schadensersatz wegen entgangener erfolgsabhängiger variabler Vergütung für das Jahr 2020. Der Mitarbeiter war seit 2020 bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthielt u. a. folgende Regelung:

4.2 Der Mitarbeiter kann darüber hinaus eine erfolgsabhängige variable Vergütung („Tantieme“) erzielen. Die jährliche Tantieme beträgt maximal EUR 180.000,- brutto … Die Festlegung einer Tantieme und deren Höhe hängen von dem Erreichen von Zielen ab, deren drei wesentliche Kriterien jedes Jahr, erstmals zum Ende der Probezeit, zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden. Sollten die drei Kriterien nicht zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden, werden diese seitens der Gesellschaft nach billigem Ermessen vorgegeben. Die Tantieme wird je nach Erreichungsgrad der vereinbarten oder vorgegebenen Ziele durch den Arbeitgeber nach seinem Ermessen fixiert. Im Falle des Ein- oder Austritts während eines Kalenderjahres wird eine eventuelle Tantieme zeitanteilig, gerechnet nach Kalendermonaten und für Teile von Kalendermonaten nach Kalendertagen, ausgezahlt. Ein Rechtsanspruch auf eine Tantieme besteht nicht. Wird dem Mitarbeiter eine Tantieme gewährt, erfolgt dies freiwillig mit der Maßgabe, dass auch durch eine wiederholte Zahlung kein Rechtsanspruch, weder dem Grunde noch der Höhe nach, weder für die Vergangenheit noch die Zukunft, begründet wird.“

Ab Juni 2020 kam es zu Unstimmigkeiten zwischen dem Mitarbeiter und der Arbeitgeberin und letztlich scheiterte eine Einigung über eine Zielvereinbarung. Die Arbeitgeberin kündigte an, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, die Ziele nach billigem Ermessen einseitig festzulegen. Der Mitarbeiter schied zum Ende des Jahres aus dem Unternehmen aus. Eine Tantieme zahlte ihm die Arbeitgeberin nicht.

Der Mitarbeiter vertrat die Auffassung, die Arbeitgeberin sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie nicht berechtigt gewesen sei, die Ziele einseitig vorzugeben. Er klagte daher auf Schadensersatz in Höhe der entgangenen Tantieme, die er mit 97.000 EUR bezifferte. Die Arbeitgeberin vertrat die Auffassung, der Mitarbeiter habe keinen Anspruch auf Schadensersatz, weil sie berechtigt gewesen sei, die Ziele nach billigem Ermessen vorzugeben. Der Arbeitsvertrag setze für eine ersatzweise Zielvorgabe allein voraus, dass Ziele nicht vereinbart worden seien. Auf die Gründe hierfür komme es nicht an.

Das Bundesarbeitsgericht gab dem Arbeitnehmer Recht.
Der Mitarbeiter hatte gegen die Arbeitgeberin nach § 280 Abs. 1, 3 iVm. § 283 Satz 1, § 252 Bürgerliches Gesetzbuch Anspruch auf Schadensersatz wegen ihm entgangener erfolgsabhängiger variabler Vergütung für das Kalenderjahr 2020 in Höhe von 82.600 EUR. Die Arbeitgeberin hatte schuldhaft ihre nach § 4.2 Satz 3 des Arbeitsvertrags bestehende Pflicht verletzt, mit dem Mitarbeiter eine Zielvereinbarung abzuschließen. Deren Ersetzung durch eine einseitige Zielvorgabe war nicht zulässig.
Die Arbeitgeberin war trotz Scheiterns einer diesbezüglichen Vereinbarung nicht berechtigt gewesen, dem Mitarbeiter einseitig Ziele vorzugeben. § 4.2 Satz 4 des Arbeitsvertrags hielt einer sog. Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB nicht stand. Die Regelung benachteiligt den Mitarbeiter unangemessen und ist somit unwirksam.

Die Unwirksamkeit von § 4.2 Satz 4 des Arbeitsvertrags führte nach § 306 Abs. 1 BGB zum ersatzlosen Wegfall der Bestimmung über die Zielvorgabe, wobei alle übrigen Bestimmungen wirksam bleiben. Dies hatte zur Folge, dass allein die Grundsätze über die Durchführung und das Scheitern einer Zielvereinbarung anzuwenden waren.

Die Arbeitgeberin hatte ihre Pflicht aus § 4.2 Satz 3 des Arbeitsvertrags, mit dem Mitarbeiter Verhandlungen über eine Zielvereinbarung zu führen und eine solche abzuschließen, schuldhaft verletzt. Sie hatte trotz entsprechender Aufforderung durch den Mitarbeiter mit diesem keine Verhandlungen geführt, die den Abschluss einer Zielvereinbarung, für die im ersten Beschäftigungsjahr maßgebliche Zielperiode ermöglicht hätte. Die Arbeitgeberin hatte dem Mitarbeiter zwar schriftlich ihre Zielvereinbarungsvorstellungen übermittelt und erklärt, sie sei bereit, sich mit dem Mitarbeiter direkt auszutauschen, sofern zu ihren Zielvorstellungen noch Rücksprachebedarf bestehe. Sie hatte jedoch – im Widerspruch zu ihrer Ankündigung – keine Bemühungen um eine einvernehmliche Festlegung der Ziele unternommen, nachdem der Mitarbeiter seine abweichenden Zielvorstellungen mitgeteilt und um Rückmeldung gebeten hatte. Vielmehr hatte sie Ziele sodann einseitig vorgegeben.
Der Verstoß gegen die arbeitsvertraglich geregelten Pflichten zum Abschluss von Zielvereinbarungen begründet hier also den Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers.

Beim Desksharing haben wir mitzubestimmen

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg | Beschluss vom 06.08.2024 | Aktenzeichen 21 TaBV 7/24.

Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob der Betriebsrat bei der Einführung von Desksharing und der Einführung von Clean Desk ein Mitbestimmungsrecht hat. Das Thema Desksharing ist ja schon seit langer Zeit in aller Munde, insbesondere seitdem immer mehr Arbeitgeber ihre Mitarbeiter ins Homeoffice schicken. Büroflächen werden nicht mehr benötigt und deshalb abgebaut. Die wenigen vorhandenen Arbeitsplätze werden dann auf die Mitarbeiter aufgeteilt, die noch im Büro arbeiten oder sich vorher anmelden. Dass der Betriebsrat bei der Einführung von Desksharing ein Beratungsrecht hat, dürfte klar sein. Doch hat er auch ein Mitbestimmungsrecht? Dieses könnte sich zum Beispiel aus § 87 Absatz 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz ergeben. Ebenso könnte die Mitbestimmung nach § 87 Absatz 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz in Betracht kommen, und zwar immer dann, wenn die Vergabe der freien Arbeitsplätze im Büro über ein technisches System gesteuert wird. Dieser Auffassung war auch im vorliegenden Fall der Betriebsrat. Er wollte über die Einführung von Desksharing und Clean Desk eine Betriebsvereinbarung mit dem Arbeitgeber abschließen und berief sich dabei auf die zuvor genannten Mitbestimmungsrechte. Dies sah der Arbeitgeber jedoch anders und erkannte hier kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Der Betriebsrat leitete deshalb ein Verfahren zur Einigungsbestellenbesetzung gemäß § 100 Arbeitsgerichtsgesetz ein. Das Arbeitsgericht Heilbronn sah in erster Instanz keinen Fall der Mitbestimmung. Dies sah das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg aber anders. Anders als das Arbeitsgericht meinte das Landesarbeitsgericht, dass durch die geplanten Änderungen der Arbeitsabläufe die Ordnung des Betriebes und damit das Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Absatz 1 Nummer 1 Betriebsverfassungsgesetze betroffen sein könnte. Einen kleinen Wermutstropfen musste der Betriebsrat hier aber doch hinnehmen. Statt der beantragten vier Beisitzer billigte ihm das Landesarbeitsgericht nur zwei Beisitzer zu.

Du bist ein Querulant

Landesarbeitsgericht | Beschluss vom 30.08.2024 | Aktenzeichen 1 SHA 16/24.

Ein gerichtsbekannter Querulant hatte im Zusammenhang mit einem arbeitsrechtlichen Verfahren mehrfach Anträge und Klagen gegen dieselben Parteien an verschiedenen Gerichten im Ruhrgebiet eingereicht. Die Schriftstücke enthielten dabei zahlreiche überwiegend zusammenhanglose rechtliche Zitate, Fundstellen und Angaben. Das LAG Hamm gab dem Ersuchen auf Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts einen Korb. Denn die Richter und Richterinnen am LAG verwarfen den Antrag des Mannes auf Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts als rechtsmissbräuchlich. Dabei verkante die Kammer nicht, dass Gerichte grundsätzlich alle Anträge bescheiden müssten. Das ist jedoch anders, dann wenn einem Muster folgend bereits geklärte Fragen immer wieder neu ohne erkennbares Interesse an der Sache aufgeworfen würden. Im Kern geht es hier um eine Prozessführung, die kein Interesse an der Sache zeige, aber für die Gegner und Gerichte möglichst viel Aufwand und Kosten verursachen sollen. In diesen Verfahren werden ständig Nebenkriegsschauplätze aufgemacht, in dem Anträge zur Prozesskostenhilfe, Befangenheitsanträge und Dienstaufsichtsbeschwerden gestellt werden. Das Landesarbeitsgericht Hamm kündigte zudem an, künftige Eingaben des Mannes nur noch formlos zu prüfen und im Zweifel die Gegenseite nicht mehr anzuhören. Gerade im Arbeitsrecht muss man berücksichtigen, dass der Mann die auf der Gegenseite verursachten Anwaltskosten nicht tragen muss. In der ersten Instanz trägt jeder seine eigenen Anwaltskosten. Das Gericht hat den Antrag des Mannes somit als rechtsmissbräuchlich verworfen.

Ich habe nur schnell die Arbeitsschlüssel abgeholt

Bundessozialgericht | Urteil vom 25.09.2024 | Aktenzeichen B 2 U 15/ 22

Auch in diesem Fall geht es wieder um die Frage des versicherten Betriebswegs. Eine Beschäftigte verunglückte nach einem privaten Wochenendausflug auf dem Weg zu ihrer Wohnung. Dies klingt zunächst nicht nach Arbeitsunfall. Doch die Beschäftigte wollte aus ihrer Wohnung Arbeitsschlüssel und Unterlagen vor Arbeitsantritt abholen. Dabei verunfallte sie. Das Bundessozialgericht musste sich nun mit der Frage beschäftigen, ob es sich hier um einen versicherten Betriebsweg gehandelt hat. Ein solcher liegt vor, wenn die Beschäftigte den Weg zur Aufnahme von Arbeitsschlüsseln und Unterlagen in ihrer Wohnung in Umsetzung einer Weisung ihres Arbeitgebers zurückgelegt hat. Liegt eine Weisung nicht vor kann trotzdem ein Arbeitsunfall vorliegen. Und zwar immer dann, wenn die Beschäftigte mit den Arbeitsschlüsseln und Unterlagen in ihrer Wohnung verwahrtes Arbeitsgerät holen wollte, das für die Aufnahme oder Verrichtung ihrer Arbeit unentbehrlich war. Dies konnte das Bundessozialgericht aber abschließend nicht klären und verwies die Angelegenheit zurück an das Landessozialgericht.

Lohngerechtigkeit, Median oder Vergleichsperson

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg | Aktenzeichen 2 SA 14/24

Um sich mit diesem Fall näher zu beschäftigen, muss man zunächst den Begriff Median klären. Laut Wikipedia ist der Median in der Statistik ein Mittelwert und Lageparameter. Um dies näher zu erklären, stellen wir uns einmal eine Gruppe von Mitarbeitern vor. Die einzelnen Mitarbeiter haben jeweils ein Gehalt von 3000 Euro, 7000 Euro, 15.000 Euro, 4.000 Euro und 5000 Euro. Der Median dieser Einkommen liegt hier bei 5000 Euro. Der Durchschnitt der zuvor genannten Einkommen liegt dabei bei 6.800 Euro. Warum sind diese Überlegungen für den nachfolgenden Fall so wichtig? Ganz einfach, es geht um die Frage, wie Lohngerechtigkeit nach dem AGG bestimmt werden kann. Es geht hier um eine Frau, die fast 30 Jahre bei der Firma Daimler gearbeitet hatte. Die Frau möchte für ihre Arbeit das gleiche Entgelt wie ihre männlichen Kollegen bekommen und verlangt eine entsprechende Nachzahlung. Vor über 15 Jahren war die klagende Frau zur Abteilungsleiterin befördert worden. Aus der Elternzeit kehrte sie in Teilzeit zurück und bekommt seitdem deutlich weniger Gehalt als ihre männlichen Kollegen auf gleicher Ebene. Das Arbeitsgericht verurteilte die Arbeitgeberin der Abteilungsleiterin die Differenz zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppen nachzuzahlen. Die Frau wollte aber nicht die Differenz zum Medianentgelt haben, sondern die Differenz zum Gehalt ihres direkten Vergleichskollegen, welches weit über denen der anderen Vergleichspersonen liegt. Er ist ein Ausreißer in dieser Gruppe. Und genau hierum geht es in diesem Fall. Habe ich Anspruch auf die Differenz zum Ausreißer oder muss ich mich mit der Differenz zum Medianentgelt begnügen? Die Klägerin ging in die zweite Instanz zum Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Das Landesarbeitsgericht urteilte ähnlich wie das Arbeitsgericht Stuttgart. Das Gericht hat der Klägerin einen Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem weiblichen und dem männlichen Median zugesprochen. Also ebenfalls nicht die Differenz zum männlichen Spitzenreiter. Nach Ansicht des LAG könne diese Person nicht herangezogen werden. Das Gericht bezieht sich auf den Wortlaut früherer Entscheidungen. In diesem Fall sei die Bezugsperson ein Spitzenverdiener innerhalb der Gruppe. Das sei in den anderen Entscheidungen anders gewesen, so das LAG. Dem Gericht sei kein Fall aus der Rechtsprechung bekannt, in dem ein Mann mit seinem Gehalt deutlich über der Vergleichsgruppe gelegen habe. Aus diesem Grund kann die Klägerin hier auch nicht mit eben einer solchen Person verglichen werden. Das LAG hat den WEG zum BAG zugelassen.

Verstoß gegen Sicherheitsanweisungen als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung

Landesarbeitsgerichte in Niedersachsen | Urteil vom 29.07.2024 | Aktenzeichen 4 Sa 531/23

Im vorliegenden Fall geht es um einen Kranfahrer, der seit 1990 in einem Stahlwerk tätig war. Im Dezember 2022 kam es zu einem Vorfall, der zur Kündigung führte. Der Kläger bewegte einen Kran, ohne sich zu vergewissern, dass die Bahn frei war und kollidierte mit einem anderen defekten Kran. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten Elektriker auf dem anderen Kran, die durch den Zusammenstoß gefährdet wurden. Die Elektriker konnten sich zwar rechtzeitig festhalten, wurden jedoch erheblich gefährdet. Der Kläger, also der Arbeitnehmer, gab an, den anderen Kran übersehen zu haben, da er nicht über den Standortwechsel des Krans informiert worden sei. Er räumte jedoch ein, dass er die Sicherheitsvorschrift missachtet hatte. Nach diesem Vorfall kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber fristlos. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen entschied zugunsten der Arbeitgeberin und bestätigte die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung. Dabei stellte das LAG fest, dass der Kläger grob fahrlässig gehandelt hatte, indem er den Kran ohne ausreichende Kontrolle bewegte und dadurch sowohl Sach- als auch Personenschäden verursachte. Das Gericht sah in der Missachtung der Sicherheitsvorschriften nicht nur einen einfachen, sondern einen grob fahrlässigen Verstoß. Auch die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf einen anderen Arbeitsplatz, beispielsweise im Pförtnerdienst, kam für das Gericht nicht in Betracht. Eine solche Weiterbeschäftigung auf einen anderen Arbeitsplatz kommt nur dann in Betracht, wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers spezifisch an den bisherigen Arbeitsplatz gebunden ist. Im vorliegenden Fall betrachtete das Gericht das Verhalten des Klägers als „arbeitsplatzunabhängig“, da es sich um grundlegende Sorgfaltspflichten handelte, die auch an einem anderen Arbeitsplatz erforderlich gewesen wären. Die Kündigung war damit wirksam.

Fristlose Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit

Landesarbeitsgericht Niedersachsen | Urteil vom 8. Juli 2024 | Aktenzeichen 15 SLa 127/24

Eine Arbeitnehmerin war seit dem 1. Dezember 2007 als Grundschulsekretärin einer niedersächsischen Grundschule beschäftigt. In einem Personalgespräch zu Beginn des Schuljahres 2022/2023 teilte ihr die Schulleitung mit, dass ihr zu Beginn der niedersächsischen Sommerferien am 6. Juli 2023 und an den darauffolgenden Tagen keinen Urlaub gewährt werden könne. In der Folgezeit bestand die Arbeitnehmerin allerdings darauf, am 6. Juli 2023 Urlaub zu bekommen. Die Arbeitgeberin lehnte dies allerdings ab. Am 5. Juli 2023 teilte die Sekretärin der Schulleiterin telefonisch mit, es gehe ihr nicht gut und sie leide an einer Magen-Darm-Grippe. Für die Zeit vom 5. Juli 2023 bis zum 7. Juli 2023 legte sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihrer Ärztin vor, aus der sich ergab, dass die Arbeitsunfähigkeit am 5. Juli 2023 festgestellt wurde. Am 6. Juli 2023 nahm die Sekretärin an einem Trainer-Lizenzlehrgang bei der Landesturnschule in Melle statt. Dies blieb aber nicht unbemerkt. Mit Schreiben vom 7. Juli 2023 hörte die Arbeitgeberin die Grundschulsekretärin wegen des Verdachts der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit an. Die Grundschulsekretärin redete sich heraus und gab an, dass sie sich am 6. Juli 2023 wieder „OK“ gefühlt habe. Die Arbeitgeberin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos.

Die von der Arbeitnehmerin eingelegte Kündigungsschutzklage blieb erfolglos. Will der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin nachweisen, dass die Arbeitsunfähigkeits-bescheinigung fehlerhaft oder falsch ausgestellt wurde oder nicht der Wahrheit entspricht, so reicht ein bloßes Bestreiten der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit Nichtwissen nicht aus. Vielmehr muss die Arbeitgeberin hier begründete Zweifel an der bestehenden Arbeitsunfähigkeit darlegen, in diesem Fall also den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Dies ist der Arbeitgeberin im vorliegenden Fall auch gelungen. Die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurden dadurch verstärkt, dass die Arbeitnehmerin am 6. Juli 2023 an dem Lehrgang bei der Landesturnschule Melle teilgenommen hat. Zwar müsse die Teilnahme an dem Lehrgang nicht notwendigerweise bedeuten, dass die Arbeitnehmerin nicht arbeitsunfähig gewesen sei. Es ist jedoch denkbar, dass krankheitsbedingte Ursachen zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, die die Arbeitnehmerin nicht gehindert haben, an dem Lehrgang teilzunehmen. Doch dies hätte die Arbeitnehmerin näher erläutern müssen. Zudem ging das Landesarbeitsrecht Niedersachsen davon aus, dass die Arbeitnehmerin von Anfang an beabsichtigte, trotz ihrer bestehenden Arbeitsverpflichtung an dem Lehrgang teilzunehmen. Das LAG ging zudem davon aus, dass die Teilnahme an diesem Lehrgang nur nach vorheriger Anmeldung möglich gewesen sei. Daraus folge, dass sich die Arbeitnehmerin im Vorfeld zu diesem Lehrgang angemeldet und trotz der Verweigerung von Urlaub für diesen Tag durch die Arbeitgeberin nicht wieder abgemeldet hat. Da die Arbeitnehmerin über die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hinaus keinen ausreichenden Vortrag geleistet hat, um ihrer sekundären Darlegungslast nachzukommen, sah das Landesarbeitsgericht keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein tatsächliches Vorliegen einer Erkrankung.

Good Night & Good Luck
Ihr, euer Dr. Stephan Grundmann
und Team Arbeitsrecht