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Januar 2024

Auflösungsantrag und besonderer Kündigungsschutz – Bundesarbeitsgericht

Bundesarbeitsgericht | Urteil vom 27.9.2022 | Aktenzeichen 2 AZR 92/22

Bevor wir uns mit diesem Fall beschäftigen, sollten wir erst einmal die Frage klären, was überhaupt ein Auflösungsantrag ist. Dieser ist in § 9 Kündigungsschutzgesetz geregelt und einer der wenigen Anwendungsfälle, bei denen das Gericht kraft Urteils eine Abfindung aussprechen kann. Ein Auflösungsantrag kann sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer gestellt werden. Voraussetzung ist, dass das Gericht die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers für berechtigt erachtet, aber zu dem Ergebnis kommt, dass ein gedeihliches Miteinander der Parteien also hier Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht mehr möglich ist. In einem solchen Fall kann das Gericht auf Antrag einer der Parteien das Arbeitsverhältnis kraft Urteils auflösen und spricht dann eine Abfindung aus. Das Bundesarbeitsgericht musste sich im vorliegenden Fall mit der Frage befassen, ob ein Auflösungsantrag seitens des Arbeitgebers auch dann gestellt werden kann, wenn der Arbeitnehmer einen besonderen Kündigungsschutz hat. Dies ist zum Beispiel bei Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugendauszubildendenvertretung, des Wahlvorstandes oder von Wahlbewerbern der Fall. In einem solchen Fall ist eine Kündigung nur aus einem wichtigen Grund und mit Zustimmung des Betriebsrats möglich. Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Urteil klargestellt, dass dieses Zustimmungserfordernis weder unmittelbar noch analog anzuwenden ist auf arbeitgeberseitige Auflösungsanträge im Kündigungsschutzprozess nach § 9 Abs. 1 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz. Dies gilt auch dann, wenn der Sonderkündigungsschutz erst nach Ausspruch der Kündigung entstand. Nach einer älteren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts mussten die Gründe für die Auflösung einem wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB entsprechen. An dieser Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht im vorliegenden Fall nicht mehr festgehalten. Damit steht fest, dass der Auflösungsantrag unabhängig vom besonderen Kündigungsschutz gestellt werden kann.

„Du schreibst doch überhöhte Rechnungen an deine Mandanten“

Bundesarbeitsgericht | Urteil vom 24.8.2023 | Aktenzeichen 2 AZR 306/22

Im vorliegenden Fall wollte sich eine Anwaltskanzlei von einer angestellten Rechtsanwältin trennen, weil man sie für ungeeignet hielt. Der Arbeitgeber teilte der Frau mit, dass sie aufgrund ihres nachhaltig niedrigen Umsatzes und erfolgloser Akquise Bemühungen keine Aussicht habe, in der Sozietät aufzusteigen. Bemühungen des Arbeitgebers um eine einvernehmliche Trennung scheiterten jedoch. Daraufhin kündigte die Sozietät das Arbeitsverhältnis mit der Anwältin. Diese legte Kündigungsschutzklage ein, woraufhin die Kündigung vom Gericht für unwirksam befunden wurde.

Noch während des laufenden Gerichtsprozesses beantragte der Arbeitgeber die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Dies begründete er damit, dass ihm die Mitarbeiterin im Kündigungsschutzverfahren unterstellt habe, er habe Mandanten überhöhte Stundenzahlen in Rechnung gestellt. Die Anwältin erwiderte, sie habe dies zu keiner Zeit behauptet, obwohl dieser Verdacht objektiv bestehe. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat dem Antrag des Arbeitgebers stattgegeben und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst. Das BAG bestätigte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin habe durch ihren Prozessvortrag leichtfertig und ohne Bezug zur Bestandsstreitigkeit den nicht den Tatsachen entsprechenden Eindruck erweckt, der Arbeitgeber habe vorsätzlich überhöhte Abrechnungen erteilt. Nach BAG-Ansicht ist das ein Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Nach Auffassung der Erfurter Richter erfolgten diese Äußerungen der Klägerin allein in der Absicht, den Arbeitgeber herabzuwürdigen. Das BAG wies außerdem darauf hin, dass vom Gericht als unwahr angesehene Behauptungen (lach – im Regelfall leider wahr;-) nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind.

Dienstplan per SMS

Bundesarbeitsgericht | Urteil vom 23.8.2023 | Aktenzeichen 5 AZR 349/22

Im vorliegenden Fall streiten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor dem Bundesarbeitsgericht darüber, ob der Arbeitnehmer sich in seiner Freizeit über Dienstplanänderungen informieren und danach richten muss.

Der Arbeitnehmer ist seit 2003 als Notfallsanitäter bei dem Arbeitgeber tätig. Eine Betriebsvereinbarung zum Thema Arbeitszeit regelt unter anderem den Einsatz der Sanitäter im Springerdienst. Hierin wurde festgelegt, dass der Arbeitgeber die konkrete Arbeitszeit und den Arbeitsort der Sanitäter, die als Springerdienst eingeteilt sind, bis spätestens 20:00 Uhr des Vortages genauer bestimmen darf.

In zwei Fällen im April und September 2021 reagierte der Arbeitnehmer weder telefonisch noch per SMS auf Kontaktversuche des Arbeitgebers wegen eines bevorstehenden Springeinsatzes. Der Sanitäter erschien erst zur ursprünglich geplanten Schicht an seinem Arbeitsplatz. Das hatte zur Folge, dass ihm Fehlstunden eingetragen wurden und der Arbeitgeber ihn abmahnte. Hiergegen wehrte sich der Sanitäter mit einer Klage.

Nachdem die erste Instanz sein Begehren abgelehnt hatte, gab ihm das Landesarbeitsgericht recht. In seiner Freizeit sei er nicht zur Annahme dienstlicher Nachrichten verpflichtet, so das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein.

Das Bundesarbeitsgericht entschied jedoch wieder zu Gunsten des Arbeitgebers, hob das Urteil des LAG auf und erklärte das Urteil des Arbeitsgerichts für rechtmäßig. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch darauf, dass die Abmahnung aus der Personalakte entfernt wird und ihm die abgezogenen Arbeitsstunden wieder gutgeschrieben werden.

Entscheidend war die Regelung der Betriebsvereinbarung, nach der eine Konkretisierung der Arbeitszeiten des Springerdienstes bis 20:00 Uhr des Vortages zulässig ist. Demnach war es dem Arbeitgeber erlaubt, sein Direktionsrecht in Form von Weisungen auch außerhalb der individuellen Arbeitszeit der Arbeitnehmer auszuüben. Vorliegend konkretisierte der Arbeitgeber die Arbeitszeit für den Folgetag entsprechend den Regelungen der Betriebsvereinbarung, indem er dem Arbeitnehmer die Information per SMS übermittelte, telefonisch war der Arbeitnehmer nicht erreichbar. Der Arbeitnehmer konnte sich wiederum nicht darauf berufen, dass er von der wirksamen Konkretisierung des Dienstplanes keine Kenntnis erlangt hat. Die Weisung der Arbeitgeberin ist dem Arbeitnehmer zugegangen. Für den Arbeitnehmer bestand die Nebenpflicht, diese Weisungen auch in seiner Freizeit auf seinem Privathandy zur Kenntnis zu nehmen.

Von leeren Weinflaschen, Erbrochenem, Kippen und zerquetschten Mandarinen

Landesarbeitsgericht Düsseldorf | Pressemitteilung vom 12.9.2023 | Aktenzeichen 3 Sa 284/23

So manche Weihnachtsfeier gerät dann doch aus den Fugen. Auch wenn es sich im vorliegenden Fall nicht wirklich um eine Weihnachtsfeier gehandelt hat, sondern vielmehr um ein Besäufnis im kleinen privaten Rahmen.

Der Arbeitnehmer war seit dem 1.6.2021 als Gebietsmanager Mitte Nordrhein-Westfalen im Außendienst seiner Arbeitgeberin beschäftigt, eine Winzergenossenschaft mit Sitz in Süddeutschland.

Im Januar 2023 fand dort eine nachträgliche Weihnachtsfeier statt. Nach der Begrüßung im Betrieb mit einem Sekt fuhren die Beschäftigten gemeinsam mit einem Bus zu einem externen Restaurant. Gegen 23:00 Uhr fuhr der Bus die Beschäftigten, die dies wollten, zurück zur firmeneigenen Kellerei, darunter war auch der Außendienstmitarbeiter.

Eine Fortsetzung der Weihnachtsfeier im Betrieb war nicht vorgesehen. Der Arbeitnehmer traf sich mit zwei weiteren Kollegen im gar 500 m vom Betrieb entfernten Hotel, um dort eine Flasche Wein zu trinken. Danach ging er mit einem der Kollegen zurück zum Betrieb. Später ergab sich, dass das Tor zum Betriebsgelände mit der Zutrittsberechtigungskarte des Kollegen geöffnet wurde. Im Aufenthaltsraum der Kellerei tranken beide Männer vier Flaschen Wein aus dem Lagerbestand des Arbeitgebers. Die leeren Flaschen standen am nächsten Morgen auf dem Tisch. Im Mülleimer befanden sich zahlreiche Zigarettenstummel. Auf dem Fußboden lag eine zerquetschte Mandarine, die zuvor an die Wand geworfen worden war. Einer der beiden Herren hatte sich neben der Eingangstür erbrochen. Das Hoftor stand offen. Der Kollege des Außendienstlers wurde am gleichen Abend auf dem Nachhauseweg von der Polizei aufgegriffen und wegen seiner starken Alkoholisierung zum Ausschluss einer Eigengefährdung!!! nach Hause gefahren.

Der ortsansässige Kollege räumte am 16.1.2023 gegenüber seinem Arbeitgeber ein, „Scheiße gebaut“ zu haben. Er bezahlte den Wein. Daraufhin geriet auch der Arbeitgeber in Katerstimmung und kündigte beide Arbeitsverhältnisse am 25.1.2023 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30.4.2023.

Der Betriebsrat war angehört worden und hatte beiden Kündigungen zugestimmt. Der Außendienstler erhob Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht Wuppertal entschied noch zu seinen Gunsten, dass eine Abmahnung ausgereicht hätte.

In der mündlichen Verhandlung machte die Dritte Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf jedoch deutlich, dass sie im Gegensatz zum Arbeitsgericht eine Abmahnung im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzung nicht für ausreichend hält. Es sei offensichtlich, dass man als Mitarbeiter nicht nach beendeter Weihnachtsfeier mit der Chipkarte des Kollegen gegen Mitternacht die Räume des Arbeitgebers betreten dürfen, um dort unbefugt vier Flaschen Wein zu konsumieren. Es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen der Kläger habe schließen dürfen, dass die Arbeitgeberin dieses Verhalten dulden wird. Es stelle sich allenfalls die Frage, ob das Verhalten bereits eine fristlose Kündigung rechtfertige oder die Interessenabwägung zu einer ordentlichen Kündigung führen würde. Auf Vorschlag des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien sich aus sozialen Gründen auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage der streitigen Kündigung mit der sozialen Auslauffrist bis zum 28.2.2023 geeinigt.

Zuständigkeit der Einigungsstelle bei der Verteilung eines Entgelterhöhungsbudgets

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg | Beschluss vom 8.12.2022 | Aktenzeichen 4 TaBV 7/22

Im vorliegenden Fall streiten sich die Parteien über die Errichtung einer Einigungsstelle. Vorliegend geht es um das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz. Im Unternehmen der Arbeitgeberin fand eine Gesamtbetriebsvereinbarung Gehaltssystem vom 30. Juli 2019 Anwendung. Diese Gesamtbetriebsvereinbarung regelte, wie Entgelterhöhungsbudgets, über die der Arbeitgeber jährlich entscheidet, verteilt werden sollten. Diese Gesamtbetriebsvereinbarung wurde vom Gesamtbetriebsrat aufgrund einer Beschlussfassung vom 14. Juli 2022 zum 31. Oktober 2022 gekündigt. Der Arbeitgeber wurde zu Neuverhandlungen aufgefordert. Der Gesamtbetriebsrat erklärte die Verhandlungen mit Schreiben vom 22. August 2022 für gescheitert. Er teilte dem Arbeitgeber mit, die Bildung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand Gesamtbetriebsvereinbarung Gehaltssystem beschlossen zu haben. Die Beteiligten konnten sich nicht auf die Bildung einer Einigungsstelle einigen, weshalb der Gesamtbetriebsrat auf der Grundlage der Beschlussfassung vom 22. August 2022 am 31. August 2022 das vorliegende Verfahren einleitete. Mit diesem begehrte er die Einsetzung einer Einigungsstelle für den Regelungsgegenstand Verteilungsgrundsätze des Budgets für Entgelterhöhungen Fiskaljahr 2023. Der Arbeitgeber vertrat   die Auffassung, dass die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei, da er zeitgleich mit der Bereitstellung des Budgets mitteilte, die Verteilungsgrundsätze aus der bereits gekündigten, aber noch nachwirkenden Betriebsvereinbarung anwenden zu wollen. Vereinfacht gesagt beruft sich der Arbeitgeber darauf, dass er aktuell noch mangels ablösender Regelung an die Regelungen der alten Gesamtbetriebsvereinbarung gebunden ist. Dies bedeutet aber nicht, so das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, dass diese Regelung nicht mehr durch eine Neuregelung abgelöst werden könnte. Eine Einigungsstelle über die Grundsätze der Verteilung eines Entgelterhöhungsbudgets wird nicht dadurch offensichtlich unzuständig, dass der Arbeitgeber zeitgleich mit der Bereitstellung des Budgets mitteilt, Verteilungsgrundsätze aus einer bereits gekündigten, aber noch nachwirkenden Betriebsvereinbarung anwenden zu wollen. Der Regelungsgegenstand der Einigungsstelle ist vor dem Inkrafttreten der Entgelterhöhung nicht erledigt. Die nachfolgende Regelung kann zumindest bis dahin noch abgelöst werden, so das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Im Ergebnis bekam damit der Gesamtbetriebsrat recht und die Einigungsstelle wurde eingesetzt

(Was sind die) Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung?

Landesarbeitsgericht Köln | Urteil vom 1.9.2022 | Aktenzeichen 8 Sa 393/21

Die Parteien streiten sich im vorliegenden Fall um die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.

Die seit dem Jahr 1991 bei der Beklagten beschäftigte Klägerin wies seit dem Jahr 2014 vermehrt krankheitsbedingte Fehlzeiten zwischen 23 Arbeitstagen im Jahr 2019 bis hin zu 79 Arbeitstagen im Jahr 2018 auf. Diese Fehlzeiten beruhten jeweils auf verschiedenen Kurzerkrankung.

Gegen die mit Wirkung zum 31.5.2021 erklärte krankheitsbedingte Kündigung durch die Beklagte wandte sich die Klägerin mit der Begründung, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt sei. Insbesondere sei keine negative Prognose hinsichtlich ihres zukünftigen Gesundheitszustandes gegeben. Jedenfalls im Jahr 2019 habe sie schließlich nur an 23 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt. Zudem seien zumindest aus dem Jahr 2020 die Krankheitsfälle teilweise nicht prognoserelevant. In diesem Jahr hatte sie an insgesamt 45 Arbeitstagen gefehlt, wobei 33 Arbeitstage auf einer einmaligen Erkrankung beruhten. Die Beklagte (die Arbeitgeberin) argumentierte hingegen, der Veranlagungszeitraum müsse auf sieben Jahre ausgeweitet werden. Die geringen Fehlzeiten aus dem Jahr 2019 stellten ein Ausreißer dar. In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht Köln der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Hiergegen richtete sich die Berufung der Beklagten, über die das Landesarbeitsgericht Köln zu entscheiden hatte. Das Landesarbeitsrecht Köln hat der klagenden Arbeitnehmerin recht gegeben und die Berufung der Beklagten daher zurückgewiesen. Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Das Gericht hat das Vorliegen einer solchen Negativprognose abgelehnt. Zwar könnten häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit Indizien für eine entsprechende künftige Entwicklung seien. Diese Fehlzeiten müssen jedoch auch das betriebliche Interesse des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigen. Dies sei unter anderem dann der Fall, wenn für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr (30 Arbeitstage) Entgeltfortzahlungskosten anfallen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, müsse in einem letzten Schritt eine Interessenabwägung erfolgen, welche überprüft, ob der Arbeitgeber solche Beeinträchtigungen nicht mehr akzeptieren muss. Der Beurteilungszeitraum erstrecke sich dabei üblicherweise auf die letzten drei Jahre. Das Gericht hat vorliegend offengelassen, ob der übliche Referenzzeitraum von drei Jahren wegen besonderer Umstände in diesem Fall auf sieben Jahre ausgeweitet werden könnte, da bereits die Fehlzeiten aus den Jahren 2019 und 2020 für eine negative Gesundheitsprognose nicht ausreichend gewesen seien. Die Fehlzeiten aus dem Jahr 2019 blieben hinter dem Wert von sechs Wochen zurück. Zudem deuten die Erkrankungen aus dem Jahr 2020 nach Auffassung des Gerichts nicht auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hin.

Darf die Gesamtschwerbehindertenvertretung das verlangen?

Landesarbeitsgericht Düsseldorf | Beschluss vom 28.9.2022 | Aktenzeichen 12 TaBV 10/22

Vorliegend begehrte die Gesamtschwerbehindertenvertretung von der Arbeitgeberin die Überlassung der Kontaktdaten aller Beschäftigten. Zur Begründung führte sie an, nur so die gesamte Belegschaft ansprechen zu können, um einzelnen gegebenenfalls bei der Antragstellung auf Feststellung einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung beratend zur Seite stehen zu können. Das Landesarbeitsgericht lehnte dieses Ersuchen aber ab. Die Gesamtschwerbehindertenvertretung konnte nicht darlegen, dass zu ihrer Aufgabenerfüllung die Kontaktdaten sämtlicher Beschäftigten notwendig sein. Die Richter wiesen in diesem Zusammenhang auch auf die Grundsätze der Datensparsamkeit und Datenminimierung hin und stellte klar, dass die Gesamtschwerbehindertenvertretung und die Schwerbehindertenvertretung in ihrer Zuständigkeit auf die Betreuung schwerbehinderter und gleichgestellter Mitarbeiter im Unternehmen begrenzt sei. Die Kontaktdaten dieser Beschäftigtengruppe lag der Gesamtschwerbehindertenvertretung aber vor.

Anspruch auf Boni im Jahr des Ausscheidens

Landesarbeitsgericht Hamm | Urteil vom 13.9.2022 | Aktenzeichen 14 Sa 207 70/22

Die Parteien streiten darüber, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Jahresbonus für das Jahr seines Ausscheidens zahlen muss.

Der seit 1985 im Konzern des Arbeitgebers beschäftigte Kläger war der Auffassung, dass er aus seinem Aufhebungsvertrag in Verbindung mit dem Rahmensozialplans des Unternehmens und der Konzernbetriebsvereinbarung einen Anspruch auf Zahlung eines Bonus auch im Jahr seines Ausscheidens habe. Der Kläger schied auf Grundlage eines Aufhebungsvertrages aus dem Jahr 2016 mit Ablauf des 31. Dezember 2020 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Hierin regelten die Parteien, dass mit Abschluss des Aufhebungsvertrages sämtliche gegenseitigen Ansprüche abgegolten sind, mit Ausnahme etwaiger Ansprüche des Klägers auf den anteiligen Jahresbonus. Der Rahmensozialplan sah nach Austrittsdatum im Jahr des Ausscheidens Berechnungsfaktoren für den Bonus gemäß der jeweils gültigen Bonusregelung vor. Ferner bestimmte er, dass im Hinblick auf die Zahlung von Boni der Tochterunternehmen die Konzernbetriebsvereinbarung über das Bonussystem aus dem Jahr 2012 gilt. Der Präambel der Konzern Betriebsvereinbarung lässt sich entnehmen, dass ein jährlicher Bonus gewährt wird, sofern das Unternehmen eine Bonusgewährung vorsieht.

Im Jahr 2020 zahlte der Arbeitgeber bis zum 31. Mai 2020 ausgeschiedenen Arbeitnehmern noch anteilige Boni. Per E-Mail teilte der Konzern im Juni 2020 allen Mitarbeitern mit, dass Boni für das Jahr 2020 unwahrscheinlich seien. Entsprechend dieser Ankündigung erhielt der Kläger bei seinem Ausscheiden keinen Bonus. Der Arbeitnehmer klagte nun in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht auf Zahlung seines Bonus. Das Landesarbeitsgericht lehnte diesen Anspruch aber ab. Der Rahmensozialplan setze infolge der Formulierung gemäß der jeweils gültigen Bonusregelung eine schon bestehende Bonusregelung für das jeweilige Kalenderjahr voraus. Der dortige Verweis auf die Konzernbetriebsvereinbarung führe nur dann zu einem Bonusanspruch, wenn für das betreffende Kalenderjahr überhaupt eine Bonusgewährung seitens des Arbeitgebers vorgesehen sei. Im Rahmen der Präambel der Konzernbetriebsvereinbarung haben die Betriebsparteien mit den Worten „sofern das Unternehmen eine Bonusgewährung vorsieht“ zum Ausdruck gebracht, dass sie lediglich die Verteilungsgrundsätze für die Bonusgewährung festlegen wollen und sich die einzelnen Tochterunternehmen als Arbeitgeber gerade nicht verpflichten möchten, jedes Jahr ein Bonus zu gewähren. Ferner beinhaltet die Zahlung eines anteiligen Bonus an die bis zum 31. Mai 2020 ausgeschiedenen Mitarbeiter auch nicht die Entscheidung des Arbeitgebers, unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens einen Bonus gewähren zu wollen. Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet gewesen, sich im Rahmensozialplan oder in der Konzernbetriebsvereinbarung ausdrücklich die jährliche Entscheidung vorzubehalten, ob ein Bonus gewährt wird. Dies ergebe sich zweifelsfrei im Wege einer Auslegung, so das Landesarbeitsgericht. Ein Anspruch auf Zahlung eines Bonus bestand somit nicht.

Good Night & Good Luck
Ihr, euer Dr. Stephan Grundmann
und Team Arbeitsrecht