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September 2024

Durch die Hintertür - Du denkst, Du bist mit dem IT-System „durch“ - M365, Workday u.a. - und dann erfolgt ein Tuning des Systems mit KI.

Künstliche Intelligenz: Oft wird davon ausgegangen, dass ein neues Tool doch sicherlich „offiziell“ eingeführt wird.
Derzeit wird jedoch oft Software, die schon längst einvernehmlich eingeführt und genutzt wird, nachträglich mit KI „getunt“. Mitunter stehen die Verhandlungen zu einem Tool, z.B. Workday kurz vor dem Abschluss der BV. Plötzlich bemerkt jemand – vielleicht gerade noch rechtzeitig – vor den Unterschriften, dass nun auch diese Software massiv KI-unterstützt ist. Jetzt stellen sich viele Fragen. Die BV kann so kaum abgeschlossen, bestehende Betriebsvereinbarungen können so kaum unverändert beibehalten werden. Was ist nun zu tun? Duldet der BR nun den “Rest“ des Systems, bis die KI-Themen aufgeklärt sind? Nein: Der AG muss sie vorstellen und erklären.

Oft können KI-Funktionen (teilweise) deaktiviert werden, aber eben nicht alle. Wie kann sichergestellt werden, dass es bei der gefundenen Einstellung (Deaktivierung) bleibt. Hier müssen griffige und praktikable Kontrollmöglichkeiten des Betriebsrats vereinbart werden.

Bei Cloudsystemen spielt der Hersteller die neue Version der Software häufig einfach auf.
Einige Softwareanbieter werben bereits damit, dass ihre nun KI-getunte Software das Feedback mit weiteren Kennzahlen und Zielen abgleicht, und auf diese Weise ein Bild der Performance der ArbeitnehmerInnen zeichnet.

Ein Test bezüglich der Nutzbarkeit einer KI-gestützten Suchmaschine, welchen wir gemeinsam mit dem BR durchführten, zeigte, dass man mittels dieser Funktion Personallisten des Arbeitgebers (Belegschaft weltweit, mit IP-Adresse etc.) abrufen konnte, bei denen man „nie und nimmer“ leseberechtigt sein dürfte. Auch konnte man Mails von Vorgesetzten und Kollegen lesen, in deren Verteilerkreis man nicht aufgenommen war. Der Test wurde aus datenschutzrechtlichen Gründen sofort abgebrochen und der AG informiert.

Man muss sich also darum kümmern, dass Zugriffs- und Berechtigungskonzepte hier nicht wirkungslos werden. Aus unserer Sicht besteht dringender Handlungsbedarf: Informationen müssen eingefordert, Betriebsvereinbarungen müssen gestaltet bzw. angepasst werden; und das schnell.

Unwirksamkeit von Betriebsratsbeschlüssen durch Nichtberücksichtigung der Minderheitenliste

Landesarbeitsgericht Köln | Beschluss vom 28.6.2024 | Aktenzeichen neun TaBV 52/23

Der vorliegende Fall befasst sich mit den §§ 27 BetrVG und 38 BetrVG. Gemäß § 27 BetrVG werden die weiteren Mitglieder des Betriebsausschusses, der in größeren Unternehmen die laufenden Geschäfte des Betriebsrats führt, vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Gleiches gilt gemäß § 38 BetrVG für die freizustellende Betriebsratsmitglieder. Durch die Grundsätze der Verhältniswahl wird in diesem Fall sichergestellt, dass auch Betriebsratsmitglieder der Minderheitenliste im Betriebsausschuss und bei den Freistellungen gemäß § 38 berücksichtigt werden. Dies war auch im vorliegenden Fall zunächst so. Die Abberufung der gewählten Betriebsratsmitglieder ist durch einen in geheimer Abstimmung gefassten Beschluss des Betriebsrats mit einer Dreiviertelmehrheit möglich. Ist in einem solchen Fall die Minderheitenliste erschöpft, kann das ersatzweise in den Betriebsausschuss, beziehungsweise freizustellende Betriebsratsmitglied im Wege der Mehrheitswahl gewählt werden. Im vorliegenden Fall war es so, dass der frisch gewählte Betriebsrat unmittelbar nach seiner Konstituierung kurzfristig nacheinander alle nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählten Mitglieder einer Minderheitsliste bis zur Erschöpfung dieser Liste abberufen und sodann mit einfachen Mehrheitsbeschlüssen durch Vertreter der Mehrheitsliste ersetzt hat. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts waren die einzelnen Abberufungs – und Wahlvorgänge an sich zwar nicht unrechtmäßig, doch durch die einzelnen Vorgänge wurde der vom Gesetz geforderte Minderheitenschutz umgangen. Dies, so das Landesarbeitsgericht, führe zur Nichtigkeit der einzelnen Teilakte. Problem im vorliegenden Fall war also, dass durch die einzelnen Abberufungsbeschlüsse die Minderheitenliste komplett erschöpft war und somit durch Mitglieder der Mehrheitsliste aufgefüllt werden musste. Das führte letztlich dazu, dass die entsprechenden Beschlüsse des Betriebsrats unwirksam waren, so das Landesarbeitsgericht Köln.

Du hast mein eBay Konto ausspioniert - Beweisverwertungsverbot

Landesarbeitsgericht Niedersachsen | Entscheidung vom 18.7.2024 | Aktenzeichen 8 Sa 688/73

In diesem Fall geht es um die Frage etwaiger Beweisverwertungsverbote. Nicht selten müssen diese unter Berücksichtigung der geltenden Datenschutzverordnungen berücksichtigt werden. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde. Die klagende Arbeitgeberin verlangte von einer ausgeschiedenen Arbeitnehmerin Schadensersatz in Höhe von rund 46.000 €. Die Arbeitgeberin behauptet, dass die Beklagte unbefugt Gegenstände aus dem privaten Firmeneigentum an Dritte veräußert und sich am Erlös bereichert habe. Die Arbeitgeberin stützt dabei ihre Erkenntnisse über die Veräußerungsvorgänge auf eine ohne Wissen und Willen der Beklagten erfolgte Einsichtnahme in deren privates eBay Konto. Dabei ist zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin streitig, auf welche Weise die Arbeitgeberin die Benutzerkennung und das dazugehörige Passwort des eBay Kontos erlangt hat. Ein Schadensersatzanspruch könnte also daran scheitern, dass die Kenntnisse über die Veräußerungsvorgänge einem Beweisverwertungsverbot unterliegen. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat in dieser Rechtssache beim europäischen Gerichtshof ein Vorabentscheidungsverfahren anhängig gemacht. Letztlich geht es darum, welche Normen der Datenschutzgrundverordnung auf die gerichtliche Verwertung von entscheidungserheblichen Daten Anwendung finden und welche Rechtsgrundsätze hierbei von den Gerichten zu beachten sind. Die Entscheidung durch den Gerichtshof kann immer dann hilfreich sein, wenn nationale Gerichte beurteilen müssen, ob und unter welchen Voraussetzungen möglicherweise rechtswidrig erlangte Kenntnisse und Beweismittel, die eine Partei in den Rechtsstreit einführt, von ihnen verwertet werden können.

Ich will ein besseres Zeugnis – wer muss was beweisen??

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern | Urteil vom 2.7.2024 | Aktenzeichen 5 Sa 108/23

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern musste sich in der zweiten Instanz mit einem Arbeitnehmer befassen, der ein besseres Arbeitszeugnis haben wollte. Dabei ist zunächst zu beachten, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich erst mal nur Anspruch auf ein durchschnittliches Arbeitszeugnis hat. Durchschnittlich bedeutet in diesem Fall die Note Drei. Formulierungen wie stets zur Zufriedenheit oder zur vollen Zufriedenheit bedeuten regelmäßig eine durchschnittliche Bewertung, also eine wie zuvor erwähnte Drei. Doch was ist, wenn ein Arbeitnehmer ein besseres Zeugnis haben will. Zum Beispiel eines mit der Note Zwei. Wer muss in diesem Fall was beweisen? Muss der Arbeitgeber beweisen, dass der Mitarbeiter schlechter als eine Zwei ist, oder muss der Arbeitnehmer beweisen dass er besser ist als eine Drei. Diese Frage hat das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern damit beantwortet, dass der Arbeitnehmer die Darlegungs– und Beweislast für die Tatsachen, welche eine überdurchschnittliche Beurteilung rechtfertigen sollen, darlegen muss. Anders liegt der Fall, wenn dem Arbeitnehmer eine nur ausreichende oder noch schlechtere Bewertung erteilt werden soll. In diesem Fall hat der Arbeitgeber vorzutragen und zu beweisen, dass der Arbeitnehmer schlechter als die durchschnittliche Note Drei ist. Jetzt wird der ein oder andere Leser sicherlich einwerfen, dass die durchschnittliche Note in einem Arbeitszeugnis mittlerweile die Zwei ist. Na ja, das ist halt bei der Gerichtspraxis noch nicht angekommen. Dies ändert aber nichts daran, dass ein Anspruch lediglich auf ein wohlwollendes Zeugnis mit der Note drei besteht.

Probezeit von Schwerbehinderten – so einfach ist die Kündigung nicht

Arbeitsgericht Freiburg | Urteil vom 4.6.2024 | Aktenzeichen 2 Ca 51/24

Während der Probezeit kann ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis in der Regel ohne nähere Begründung mit einer Zweiwochenfrist kündigen. Doch wie sieht das bei einem schwerbehinderten Mitarbeiter aus? Im vorliegenden Fall ging es um einen schwerbehinderten Mitarbeiter der Stadt Freiburg, der Mitte Oktober 2023 seine Stelle angetreten hat. Es kam jedoch frühzeitig zu erheblichen Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis. Mehrere Personalgespräche blieben erfolglos. Anfang des Jahres 2024 wurde das Arbeitsverhältnis dann innerhalb der Probezeit gekündigt. Personalrat und Schwerbehindertenvertretung wurden angehört und auch das Integrationsamt wurde informiert. Dagegen klagte der Mitarbeiter und berief sich darauf, dass er weder ordnungsgemäß eingearbeitet worden sei noch habe die Stadt Freiburg ein notwendiges Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX durchgeführt. Der Arbeitnehmer war hier der Auffassung, dass der Arbeitgeber ihm zumindest einen anderen Arbeitsplatz hätte anbieten müssen und ihn zumindest angemessen begleiten und unterstützen muss. Dies sah die Stadt Freiburg allerdings anders. Denn die Behinderung des Mannes sei nicht ursächlich für die Kündigung, sondern dessen Sozialverhalten. Zudem seien die Vorgaben für ein Revisionsverfahren erst nach Ablauf der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG anwendbar. Dies sah das Arbeitsgericht Freiburg aber anders. Bei Auftreten von Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Menschen sind Arbeitgeber auch in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses verpflichtet ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Werde ein solches Präventionsverfahren nicht durchgeführt, könne dies eine verbotene Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung indizieren und zur Unwirksamkeit einer Wartezeitkündigung führen.

Habe ich einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung?

Arbeitsgericht Hamburg | Urteil vom 4.7.2024 | Aktenzeichen 29 Ca 119/24

Der Weiterbeschäftigungsanspruch um den es hier geht, befindet sich in § 102 Abs. 5 BetrVG. Danach kann ein Arbeitnehmer bei ausgesprochener ordentlicher Kündigung und ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats die Weiterbeschäftigung seines Arbeitsverhältnisses bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses verlangen. Doch gilt dieser Weiterbeschäftigungsanspruch auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit ordnungsgemäß gekündigt wird? Mit dieser Frage musste sich das Arbeitsgericht Hamburg befassen. Das Arbeitsgericht Hamburg kam dabei zu dem Ergebnis, dass ein Weiterbeschäftigungsanspruch nur dann besteht, wenn auf das Arbeitsverhältnis § 1 Abs. 2 KSchG Anwendung findet. Danach ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Dies heißt im Ergebnis nichts anderes, dass der volle Kündigungsschutz erst dann greift, wenn die sechsmonatige Wartezeit des §§ 1 Abs. 1 KSchG abgelaufen ist. Innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit finden die sozialen Aspekte des § 1 Abs. 2 KSchG keine Anwendung. Aus diesem Grund, so das Arbeitsgericht Hamburg, findet der § 102 Abs. 5 BetrVG auch keine Anwendung und damit besteht auch kein Weiterbeschäftigungsanspruch der klagenden Arbeitnehmerin.

Die lockere Betriebsfeier – es war doch nur ein Klaps auf den Po

Arbeitsgericht Siegburg | Urteil vom 24.7.2024 | Aktenzeichen 3 Ca 387/24

Dass es auf Betriebsfeiern durchaus mal hoch her gehen kann, ist nicht ungewöhnlich. Doch ein Klaps auf den Po einer Kollegin kann auch auf einer Betriebsfeier schon zu viel sein. Da hilft dann auch die lockere Atmosphäre einer Betriebsfeier nichts mehr. Der Arbeitnehmer war seit einem Jahr bei dem Arbeitgeber als Außendienstmitarbeiter beschäftigt und wegen unbefriedigenden Verhaltens und Alkoholkonsums bereits abgemahnt worden. Bei einer Betriebsfeier schlug der Kläger einer vorbeigehenden Kollegin auf den Po. Als diese seine Hand wegstieß, zog er sie an sich und sagte, sie solle das als Kompliment betrachten. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin dem Arbeitnehmer fristlos. Die Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Siegburg blieb erfolglos. Nach der Vernehmung der Kollegen als Zeugin, stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger sie durch sein Verhalten anlässlich der Betriebsfeier sexuell belästigt hat. Da half ihm auch seine Äußerung nichts, dass die Kollegen den Klaps auf den Po als Kompliment auffassen solle. Dies lasse seine sexuell bestimmte Motivation erkennen, so das Arbeitsgericht Siegburg. Zudem stelle das Festhalten der Kollegin gegen ihren Willen einen nicht hinnehmbaren Eingriff in ihre Freiheit dar. Die Entscheidung ist derzeit noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden. Viel Erfolg, Idiot!!!

Diverse als Minderheiten bei der Betriebsratswahl

Arbeitsgericht Berlin | Beschluss vom 7.5.2024 | Aktenzeichen 36 BV 10794/23

Das nachfolgende Urteil vom Arbeitsgericht Berlin kann für die nächsten Betriebsratswahlen von großer Bedeutung sein. Es geht um die Frage, ob die Diversen das einzige Minderheitengeschlecht bei der Betriebsratswahl sind. Dazu muss man zunächst wissen, dass das Minderheitengeschlecht nach dem Höchstzahlverfahren ermittelt wird. Die Ergebnisse können im Einzelfall davon abhängig sein, ob man Männer und Frauen in eine Gruppe zusammenfasst und die Diversen in eine weitere Gruppe. Nach dem Höchstzahlenverfahren werden dann in diesem Fall die sieben höchsten Zahlen ermittelt. Im konkreten Fall deshalb, weil ein siebenköpfiger Betriebsrat gewählt werden musste. Im Betrieb der Arbeitgeberin waren ausweislich der Wählerliste 45 Personen weiblichen Geschlechts 56 Personen männlichen Geschlechts zehn Personen diversen Geschlechts wahlberechtigt. Fasst man im konkreten Fall Männer und Frauen zu einer Gruppe zusammen, ergibt die sechsthöchste Zahl die 17 und damit würde das Minderheitengeschlecht, hier die Diversen, mit einem Sitz repräsentiert werden müssen. So geschah es im vorliegenden Fall. Das Arbeitsgericht Berlin hat diese Verfahrensweise aber für unwirksam erklärt. Zur Begründung führte es aus, dass die Vorschriften aus dem BetrVG und der dazugehörigen Wahlordnung über den Minderheitenschutz nicht so ausgelegt werden können. Und zwar deshalb, weil in diesem Fall nur das dritte Geschlecht davon profitiere. Würde man Männer in einer Gruppe, Frauen in eine Gruppe und die Diversen in eine Gruppe legen und sodann das Höchstzahlverfahren durchführen, würden im vorliegenden Fall auf die Frauen drei Sitze als Minderheitengeschlecht entfallen und auf die Diversen ein Sitz als Minderheitengeschlecht. In diesem Fall müssten somit die Frauen als Minderheitengeschlecht berücksichtigt werden, ebenso wie die Diversen. Wir hätten also zwei Minderheitengeschlechter und nicht nur eines. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin die Beschwerde zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden kann. Dieser Fall zeigt auch, dass in Betrieben mit einer ungewöhnlich hohen Anzahl von Diversen es durchaus bedeutsam sein kann, nach welcher Vorgehensweise das Minderheitengeschlecht ermittelt wird.

Betriebsratswahlen in einem abgrenzbaren Liefergebiet

Arbeitsgericht Aachen | Beschluss vom 23.4.2024 | Aktenzeichen 2 BV 56/23

Auch der nachfolgende Fall beschäftigt sich mit Betriebsratswahlen. Die Arbeitgeberin ist ein Lieferdienst, der über ein Onlineportal die Bestellung und Auslieferung der von ihren Partner-Restaurants angebotenen Speisen und Getränken organisiert. Im Mai 2023 wählten die Auslieferungsfahrer des Liefergebiets Aachen einen dreiköpfigen Betriebsrat. Die Arbeitgeberin hielt die Betriebsratswahl für unwirksam, da sie die Auffassung vertrat, dass das Liefergebiet keine hinreichende organisatorische Selbstständigkeit hat. Nach Auffassung der Arbeitgeberin würden die Beschäftigten in Aachen mit den in Köln tätigen Arbeitnehmern einen einheitlichen Betrieb bilden. Dies sah das Arbeitsgericht Aachen aber anders und berief sich auf § 4 BetrVG. Danach gelten Betriebsteile als selbstständige Betriebe, wenn sie erstens räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder zweitens durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind. Und dies sah das Arbeitsgericht ebenso. Die Auslieferungsfahrer seien dem Liefergebiet fest zugeordnet; einen Austausch von Arbeitnehmern, etwa mit dem Liefergebiet Köln, gab es nicht. Da die Arbeitgeberin den Arbeitseinsatz der Arbeitnehmer digital durch eine App steuere, sei es ausreichend, wenn alle Arbeitnehmer der abgrenzbaren Einheit den Weisungsrechten einer Leitungsmacht unterstehen würden, die für die Einheit zuständig sein. Es komme nicht darauf an, dass eine Person räumlich vor Ort in dem Betriebsteil anwesend sei, die Weisungsrechte auf den Weg bringt. Auch in diesem Fall ist die Entscheidung aber noch nicht rechtskräftig. Die Arbeitgeberin hat gegen den Beschluss Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt.

Wann gilt ein Brief als zugegangen - Kündigung per Einwurfeinschreiben

Bundesarbeitsgericht | Urteil vom 20.6.2024 | Aktenzeichen 2 AZR 213/23

Wann ein Kündigungsschreiben als zugestellt gilt, sorgt doch immer wieder für Streit vor den Gerichten. Im vorliegenden Fall ging es um den Zugang eines Einwurfeinschreibens, das durch die Deutsche Post AG zugestellt wurde. Das Bundesarbeitsgericht musste sich mit der Frage befassen, ob die Kündigung zu den üblichen Postzustellzeiten eingeworfen wurde. Dabei besteht ein Beweis des ersten Anscheins, dass Bedienstete der Deutschen Post AG Briefe zu den postüblichen Zeiten zustellen. Doch nun zum Sachverhalt. Arbeitgeberin und Arbeitgeber hatten in ihrem Arbeitsvertrag eine Kündigungsfrist von einem Vierteljahr zum Quartalsende vereinbart. Die Beklagte, also die Arbeitgeberin, kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2021. Das Kündigungsschreiben, datiert auf den 28.9.2021, wurde am 30.9.2021 von einem Postbediensteten in den Hausbriefkasten der Arbeitnehmerin, hier die Klägerin, eingeworfen. Die Klägerin behauptet, die Kündigung sei erst zum 31.3.2022 wirksam. Sie bestreitet, dass das Schreiben zu den üblichen Postzustellzeiten eingeworfen wurde und meinte, der Zugang sei daher erst am 1.10.2021 erfolgt. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Klage der Klägerin war erfolglos. Nach ständiger Rechtsprechung gilt eine sog. verkörperte Willenserklärung als zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und unter gewöhnlichen Verhältnissen die Kenntnisnahme besteht. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald die nächste Entnahme verkehrsüblich zu erwarten ist. Wann dies der Fall ist, wird durch die allgemeine Verkehrsauffassung bestimmt und nicht durch die individuellen Verhältnisse des Empfängers. Hatte der Empfänger unter gewöhnlichen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme, so ist es unerheblich, ob er durch Krankheit, vorübergehende Abwesenheit oder andere besondere Umstände vorübergehend daran gehindert war. Ihm obliegt es, die erforderlichen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, gilt das Schreiben dennoch als zugegangen. Auch wenn ein Arbeitnehmer also vier Wochen im Urlaub ist, kann eine Kündigung wirksam zu gehen. Dies ist insoweit kritisch, weil der Arbeitnehmer nur drei Wochen Zeit hat, um Kündigungsschutzklage zu erheben. Doch zurück zum Fall. Das Bundesarbeitsgericht geht von einer regelmäßigen Leerung des Briefkastens unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten aus. Das Bundesarbeitsgericht stellte hier fest, dass ein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass das Kündigungsschreiben innerhalb der postüblichen Zustellzeiten zugestellt wurde. Diese Annahme basiert darauf, dass die Zustellzeiten durch die Arbeitszeiten der Postbediensteten geprägt werden und diese die Zustellung im Rahmen der ihnen zugewiesenen Arbeitszeiten zu bewirken haben. Dieser Anscheinsbeweis kann dadurch erschüttert werden, dass der Empfänger atypische Umstände des Einzelfalls darlegt und im Fall des Bestreitens Tatsachen nachweist, die die ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs nahelegen. Auf den Einwand der Klägerin, es sei die genaue Uhrzeit zu bestimmen, wann das Schreiben zugestellt wurde, komme es nicht an. Es werde angenommen, dass die Post innerhalb der üblichen Zustellzeiten zugestellt werde. Etwas anderes muss der Empfänger konkret darlegen. Dies gelang der Arbeitnehmerin im vorliegenden Fall jedoch nicht. Die Kündigung ist damit am 30.9.2021 zugegangen.

Good Night & Good Luck
Ihr, euer Dr. Stephan Grundmann
und Team Arbeitsrecht