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Juli 2023

Der Matthäus und der Pofalla-Effekt – und die IAP

„Der Matthäus-Effekt ist eine These der Soziologie über Erfolge. Wo dieser Effekt auftritt, entstehen aktuelle Erfolge mehr durch frühere Erfolge und weniger durch gegenwärtige Leistungen. Ein Grund liegt in der stärkeren Aufmerksamkeit, die Erfolge erzeugen. Dies wiederum eröffnet Ressourcen, mit denen weitere Erfolge wahrscheinlicher werden. Kleine Anfangsvorteile einzelner Akteure können so zu großen Vorsprüngen heranwachsen, und eine sehr geringe Anzahl von Akteuren kann den Hauptteil aller Erfolge auf sich vereinen, während die Mehrheit erfolglos bleibt.“

Dieses Phänomen kennen wir in einigen Sprichwörtern: Wer hat, dem wird gegeben“, „Es regnet immer dorthin, wo es schon nass ist“, „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“, „Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu“.

Was hat das mit Arbeitsrecht zu tun? Einfach: In einer Vielzahl von Fällen kommt es gerade zu einer mehr oder minder generösen Auszahlung einer steuerfreien Inflationsausgleichsprämie (IAP). Und hier gibt es den Fall, dass die IAP umso höher ist als das Gehalt höher ist (zB. Bis 40tsd Jahresverdienst 2tsd IAP, ab 40tsd 3tsd) = Matthäusprinzip oder Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz?? Moment: Wo ist da die Ungleichbehandlung? Die mit mehr Geld haben ebenso Inflationsprobleme, nur sogar auf höherem Niveau: Denn nicht nur die Butter wird teurer auch der Strom für den Pool – lol. Mal sehen, was die Einigungsstellen / Arbeitsgerichte dazu sagen.

Wo wir schon bei „Effekten“ sind: Die Bahn hat an allen Ecken und Enden zu kämpfen. Insider sprechen da vom „Pofalla-Effekt“. Während der Zeit des ehemaligen Infrastrukturvorstandes und früheren CDU-Kanzleramtsministers Roland Pofalla soll viel zu wenig in die Schiene und Infrastruktur der Bahn investiert worden sein. Die Quittung bekomme man heute, lautet das Fazit hochrangiger Bahn-Manager übereinstimmend. Der aktuelle Bahnvorstand Berthold Huber müsse nun mit dem schweren Erbe umgehen.

Übrigens ist Pofalla auch ein Nutznießer des Matthäus Prinzips – war er doch schon finanziell gut unterwegs, da haben ihn Angi und ein alter Kumpel anschließend aufs Schild gehoben…. https://de.wikipedia.org/wiki/Ronald_Pofalla

Der Betriebsratsvorsitzender als Datenschutzbeauftragter

Bundesarbeitsgericht | Urteil vom 06.06.2023 | Az. 383/19

Im Juni 2015 hatte der Arbeitgeber den Vorsitzenden seines Betriebsrats zum Datenschutzbeauftragten ernannt. Das gefiel der Landesdatenschutzbehörde nicht. Sie bemängelte, dass die beiden Ämter nicht miteinander zu vereinbaren seien. Aus diesem Grund widerrief der Arbeitgeber die Bestellung des BRV zum Datenschutzbeauftragten im Dezember 2017; und dann erneut nach Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung im Mai 2018. Hiergegen klagte der abberufene Datenschutzbeauftragte.

Das Arbeitsgericht Dresden und Landesarbeitsgericht Sachsen hatten dem Betriebsratsvorsitzenden noch Recht gegeben. Anders sah das nun das Bundesarbeitsgericht: Der Widerruf der Bestellung aus wichtigem Grund sei gerechtfertigt.
Es drohten Interessenkonflikte, so das Gericht, weil der Datenschutzbeauftragte innerhalb des Unternehmens als Betriebsratsvorsitzender eine Position bekleide, die auch die Festlegung von Zwecken und Mitteln der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Gegenstand hat. Dieser Interessenkonflikt sei ein wichtiger Grund für den Widerruf der Bestellung zum Datenschutzbeauftragten. Im Vorfeld hatte das Bundesarbeitsgericht diese Frage dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Dieser hatte eine Doppelrolle als Betriebsratsvorsitzender und Datenschutzbeauftragter zwar nicht per se ausgeschlossen, aber klar entschieden, dass im jeweiligen Einzelfall das Vorliegen einer Interessenskollision geprüft werden müsse.

Genau dies hat das Bundesarbeitsgericht nun getan und stellte fest, dass die Aufgaben eines Betriebsratsvorsitzenden und eines Datenschutzbeauftragten können durch dieselbe Person nicht ohne Interessenkonflikt ausgeübt werden. Personenbezogene Daten dürften dem Betriebsrat nur zu Zwecken zur Verfügung gestellt werden, die das Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich vorsehe. Das Gremium entscheide darüber, welche personenbezogenen Daten es vom Arbeitgeber fordere und auf welcher Weise es diese anschließend verarbeite. Der Betriebsrat legt also selbst auch Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten fest. Das hat zur Folge, dass der Betriebsratsvorsitzende den Arbeitgeber als Datenschutzbeauftragter nicht hinreichend unabhängig überwachen kann.

Bei den Dienstplänen habe wir mitzubestimmen

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern | Beschluss vom 16.05.2023 | Az. 5 TaBVGa 1/23

Gerät die Arbeitgeberin mit ihrer Verpflichtung aus einer Regelungsabrede, dem Betriebsrat Dienstpläne spätestens bis zum 10. des Vorvormonats vorzulegen, teilweise in Verzug, kann es an einem Verfügungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung fehlen, wenn nur ein geringer Teil der Dienstpläne nicht rechtzeitig vorgelegt wird.
Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin streiten im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung über die rechtzeitige Bereitstellung von Dienstplänen.

Die Arbeitgeberin betreibt ein Klinikum mit mehr als 2000 Beschäftigten. Monatlich sind etwa 110 bis 120 Dienstpläne zu erstellen. Die Beteiligten schlossen am 21.08.2013 eine Regelungsabrede, nach der die Arbeitgeberin die Dienstpläne bis zum 10. des Vorvormonats des Planmonats zu erstellen und in das elektronische Dienstplanprogramm einzustellen hat. Der Betriebsrat ist berechtigt, die Dienstpläne dort einzusehen, und kann ggf. einzelnen Dienstplänen bis zum 17. des Vorvormonats schriftlich widersprechen. Äußert sich der Betriebsrat nicht innerhalb dieser Frist, gilt die Zustimmung als erteilt.

Der Betriebsrat hat erstinstanzlich beantragt, der Arbeitgeberin im Wege der einstweiligen Verfügung – bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 10.000,- für jeden Einzelfall des Verstoßes jeden Dienstplan betreffend – zu untersagen, es zu unterlassen, die jeweiligen Dienstpläne der verschiedenen Bereiche spätestens bis zum Ablauf des 10. des Vorvormonats bis 24:00 Uhr des Planmonats entweder dem Betriebsrat zur Mitbestimmung vorzulegen bzw. in das elektronische Dienstplanprogramm einzustellen.

Nach § 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

Ausschlaggebend ist, ob die Abwägung der beiderseitigen Interessen es unter Berücksichtigung der glaubhaft gemachten Gesamtumstände zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich erscheinen lässt, eine sofortige Regelung zu treffen. Dabei sind das Gewicht des drohenden Verstoßes und die Bedeutung der umstrittenen Maßnahme sowohl für den Arbeitgeber als auch für die Belegschaft angemessen zu berücksichtigen.

Die Fristüberschreitung beeinträchtigt zwar die Interessen der betroffenen Beschäftigten erheblich, weil sie sich nicht rechtzeitig auf ihre Dienste einstellen können; darüber hinaus erschwert sie dem Betriebsrat durch den erhöhten Zeitdruck die ordnungsgemäße Bearbeitung der Dienstpläne. Da die Arbeitgeberin nicht sämtliche Dienstpläne fristgerecht vorlegt, gerät sie Monat für Monat mit den jeweils fehlenden Dienstplänen in Verzug. Zur Fristüberschreitung kommt es jedoch nur bei verhältnismäßig wenigen Dienstplänen, nämlich bei etwa 1 – 6 % der Dienstpläne. Bezogen auf rund 120 monatlich zu erstellende Dienstpläne bewegt sich die Anzahl der verspätet vorgelegten Dienstpläne demnach zwischen einem und acht Dienstplänen. Das Ausmaß der Belastung für den Betriebsrat und die Belegschaft durch den Verzug der Arbeitgeberin hängt des Weiteren von der Dauer der Verzögerung ab. Eine geringfügige Fristüberschreitung um ein oder zwei Tage ist eher hinnehmbar als ein langfristiger Verzug, der mit zunehmender Dauer die Planbarkeit der Dienste erschwert bzw. unmöglich macht und eine Mitbestimmung des Betriebsrats praktisch ausschließen kann. Erhebliche Fristüberschreitungen sind allerdings nicht geltend gemacht.

Ein Anspruch im Wege der einstweiligen Verfügung bestand somit nicht.

Ich will weiterbeschäftigt werden

Arbeitsgericht Gera | Urteil vom 15.03.2023 | Az. 7 Ga 4/23

Das Verhältnis eines Arbeitsgebers zu seinen Betriebsratsmitgliedern kann angespannt sein;-). Ganz unliebsame Betriebsräte müssen dann mitunter mit einer Kündigung rechnen. So erging es einem Betriebsratsvorsitzenden aus Thüringen. Der Arbeitgeber beabsichtigte, ihm zu kündigen, leitete das Zustimmungsverfahren beim Betriebsrat ein und stellte ihn sofort von der Arbeit frei. Zuvor hatte es schon Probleme gegeben. Der Betroffene war politisch tätig und hatte für die Bundestagswahl 2021 kandidiert. Der Arbeitgeber akzeptierte die politische Überzeugung seines Mitarbeiters nicht, warf ihm Wahlwerbung am Arbeitsplatz vor und hatte im Zusammenhang damit schon zwei Kündigungen ausgesprochen. Dagegen gerichtete gerichtliche Verfahren gewann der Betriebsratsvorsitzende.

Wegen zweier Abmahnungen liefen weitere Prozesse beim Arbeitsgericht. Der Arbeitgeber leitete außerdem ein weiteres Verfahren ein, mit dem die Ersetzung einer neuen, außerordentlichen Kündigung des unliebsamen Betriebsratsmitglieds gerichtlich erzwungen werden sollte. Hilfsweise wollte der Arbeitgeber dessen Ausschluss aus dem Betriebsrat erwirken.

Gegen seine Freistellung klagte der Betriebsratsvorsitzende im Wege der einstweiligen Verfügung, also einem Eilverfahren. Zur Durchsetzung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bedarf es eines Verfügungsgrundes und eines Verfügungsanspruchs. Der Verfügungsgrund bezeichnet das besondere Rechtsschutzbedürfnis am Eilverfahren. Er besteht, wenn andernfalls die Gefahr droht, dass Rechte verwirkt oder deren Durchsetzung vereitelt würden. Bei einem vereitelten Beschäftigungsanspruch bedürfe es der ansonsten regelmäßig geforderten Dringlichkeit für eine Entscheidung im Verfahren nicht, da die einstweilige Verfügung gerade den Zweck habe, den endgültigen Rechtsverlust durch die lange Dauer des Hauptsacheverfahrens zu vermeiden, so das Arbeitsgericht. Der Verfügungsgrund ergebe sich bereits daraus, dass der Verfügungsanspruch bestehe und durch Zeitablauf vereitelt werde, wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung nicht durch einstweilige Verfügung aufgegeben werde. Zutreffend sei allerdings auch, dass durch langes Zuwarten die nach § 940 ZPO erforderliche Dringlichkeit einer Befriedigungsverfügung durch Betroffene selbst widerlegt werden könne. Ein langes Zuwarten liege vor, wenn Arbeitnehmerinnen in Kenntnis der Rechtsbeeinträchtigung längere Zeit untätig blieben und ihren Anspruch nicht (gerichtlich) geltend machten. Anders ist es jedoch zu beurteilen, wenn mit dem Arbeitgeber noch zielgerichtete Verhandlungen über eine gütliche Beilegung des Streits geführt würden. In diesem Fall bleibe der Arbeitnehmer gerade nicht untätig, sondern bemühe sich aktiv um die Durchsetzung eigener Rechtspositionen, um eine Lösung der Auseinandersetzung zu erreichen. So lange die Verhandlungen geführt würden, bleibe die Angelegenheit dringlich. Erst wenn diese gescheitert seien, müsse der Beschäftigungsanspruch alsbald geltend gemacht werden. Der Kläger habe mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bis zu dem Tag gewartet, auf den das Gericht das parallel laufende Verfahren zur Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates für die beabsichtigte weitere Kündigung des Klägers terminiert hatte. Die Dringlichkeit sei durch dieses Zuwarten nicht widerlegt. Durch eine Einigung hätte sich ggf. auch die einseitige Freistellung erledigt. Das Arbeitsgericht Gera habe in ähnlicher Fallkonstellation ein Zuwarten von über zwei Monaten für (noch) zulässig erachtet. Dort habe es zwar außergerichtliche Vergleichsverhandlungen gegeben, hier gehe es aber letztlich nur um ein Zuwarten von drei Wochen. Dies erscheine auch ohne den Nachweis außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen als vertretbar. Der Arbeitgeber sei grundsätzlich verpflichtet, seine Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen, wenn diese es verlangten. Dieser Anspruch müsse nur dort zurücktreten, wo überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstünden. Diese konnte der Arbeitgeber aber nicht hinreichend vortragen, so dass der BR-Vorsitzende weiterbeschäftigt werden musste.

Die folgenschwere Weihnachtsfeier

Arbeitsgericht Elmshorn | Urteil vom 26.04.2023 | Az. 3 Ca 1501 e/22

Der Kläger war seit drei Jahren bei einem kleinen Betrieb mit nur wenigen Mitarbeitern beschäftigt. Eine Kollegin sammelte auf der Weihnachtsfeier des Jahres 2022 Geld für ein Geschenk. Als der Kläger nicht den passenden Geldbetrag zur Verfügung hatte und auch die Kollegin nicht über das entsprechende Wechselgeld verfügte, meinte der Beschäftigte: „Wir können sie ja auf den Kopf stellen und die Geldkarte durch den Schlitz ziehen.“ Diese Aussage tätigte er unter Anwesenheit von weiteren Kollegen. Daraufhin wandte sich die Beschäftigte, die einzige Frau unter den sechs weiteren männlichen Beschäftigten, an den Geschäftsführer. Vier Tage nach dem Vorfall kündigte die Arbeitgeberin dem Kläger fristlos. Dieser erhob daraufhin Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht lehnte die Klage ab. Nach Ansicht des Gerichts stellte die Aussage des Klägers eine sexuelle Belästigung sowie Beleidigung dar. So werde die Kollegin auf derbste Art und Weise zum Objekt sexueller Anspielung herabgewürdigt und mit einem Objekt gleichgestellt. Die Grenzen einer Anzüglichkeit seien überschritten, auch sei es unerheblich, ob der Kläger nur einen Scherz machen wollte. Er habe sich außerdem bei der Kollegin weder entschuldigt noch gegenüber dem Arbeitgeber Reue gezeigt. Daran ändere auch der Rahmen der Weihnachtsfeier und eventueller Konsum von Alkohol nichts. Der Kläger habe durch die Aussage gem. § 7 Abs. 3 AGG seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Dem Arbeitgeber bliebe damit keine andere Möglichkeit als eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Anderenfalls sei das Ansehen der Kollegin im Unternehmen unwiderruflich geschädigt. Eine vorherige Abmahnung sei daher entbehrlich und die Klage des Beschäftigten im Ergebnis zurückzuweisen.

Der Lehrer und der Holocaustvergleich

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg | Urteil vom 15.06.2023 | Az. 10 Sa 1143/22

Die Kündigung eines Lehrers, der die Impfpolitik der Bundesregierung mit der Unrechtsherrschaft des Holocaust vergleichen hat, ist unwirksam. Das Gericht hat das Arbeitsverhältnis jedoch auf Antrag des Landes Berlin zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.März 2022 gegen Zahlung einer Abfindung von etwa 72.000 Euro aufgelöst. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Lehrer sei dem Land nicht mehr zumutbar, so die zuständige Kammer. Die Richter begründeten dies mit den Äußerungen des Lehrers und dem Rechtsstreit.

Der Mann hatte im Juli 2021 als Stellungnahme zur Impfpolitik der Bundesregierung auf YouTube ein Video veröffentlicht. Gezeigt wird das Tor eines Konzentrationslagers. Der Originalschriftzug „Arbeit macht frei“ wurde durch den Text „Impfung macht frei“ ersetzt. Hierdurch setze der Lehrer das staatliche Werben um Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich, so das Land Berlin. Damit verharmlose er die Unrechtstaten der Nationalsozialisten und missachte deren Opfer. Einen Monat später wurde er deswegen fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31. März 2022, gekündigt. Vor dem ArbG war der Lehrer noch erfolglos. Das Gericht erachtete die erste außerordentliche Kündigung als wirksam. Das Video könne nicht mehr als eine durch die Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit gedeckte Kritik ausgelegt werden, sondern stelle eine unzulässige Verharmlosung des Holocaust dar. Eine Weiterbeschäftigung des Lehrers sei dem Land aus diesem Grund unzumutbar.

Das LAG sah das nun anders. Die Deutung des Lehrers, eine scharfe Kritik an der Coronapolitik zu äußern, könne nicht zwingend ausgeschlossen und deshalb eine Überschreitung des Grundrechts auf Meinungsäußerung nicht eindeutig festgestellt werden. Außerdem meint das Gericht, dass der Umstand, dass der Mann als Lehrer tätig sei, keinen anderen Maßstab bei der Beurteilung zulasse. Der 62-jährige wird aber trotz des Urteils nicht weiter als Lehrer an seiner früheren Schule tätig sein. Das LAG hat das Arbeitsverhältnis aufgelöst auf Antrag des Arbeitgebers aufgelöst (lies §§ 9/10 KSchG). Es stimmte der Vorinstanz insoweit zu, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Lehrer dem Land nicht mehr zumutbar sei.

Du warst doch Tarifgebunden, also musst du uns auch anhören

Bundesarbeitsgericht | Beschluss vom 14.02.2023 | Az. 1 ABR 9/22

Im vorliegenden Fall streiten sich die Parteien (hier der Betriebsrat und die Arbeitgeberin) um die Frage, ob die Arbeitgeberin den Betriebsrat gem. § 99 Abs. 1 Satz1 BetrVG auch bei den Mitarbeitern anhören muss, die nicht tarifgebunden sind. Dies sind Mitarbeiter, die nicht Mitglied in der Gewerkschaft sind und auch durch arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln nicht dem Tarifvertrag unterliegen. Die Arbeitgeberin war bis zum 31.12.2020 Mitglied der IG-Metall und damit gem. § 3 Abs. 1 TVG an den ERA NRW gebunden. Nach Auffassung des BAG stellte der ERA somit die anzuwendende Vergütungsordnung im Betrieb dar. Die Arbeitgeberin berief sich demgegenüber aber darauf, dass bis zu diesem Zeitpunkt nur wenige Mitarbeiter Mitglied der IG-Metall waren und die übrigen keine arbeitsvertraglich Bezugnahmeklauseln hatten. Insofern sei es nicht nötig gewesen, den Betriebsrat zur Ein- oder Umgruppierung anzuhören. Dies sah das Bundesarbeitsgericht aber anders. Bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber stellt die im einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergütungsordnung für alle unter seinen Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer das im Betrieb geltende System für die Bemessung des Entgelts dar. Auf eine Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer oder eine vertraglich vereinbarte Anwendung des betreffenden Tarifvertrags kommt es nicht an. Damit spielt es auch keine Rolle, in welchem Umfang der tarifgebundene Arbeitgeber die tarifliche Entgeltordnung tatsächlich im Betrieb anwendet, so das BAG. Auch der Einwand der Arbeitgeberin, dass zum damaligen Zeitpunkt noch eine andere Vergütungsordnung im Betrieb einschlägig war, griff nicht. Eine solche konnte die Arbeitgeberin weder einseitig noch mit dem Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 abschließen. Aufgrund der Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin bestand nach § 87 Abs. 1 BetrVG im Geltungsbereich des ERA NRW kein Raum für eine Mitbestimmung.

Das Begehren des Betriebsrats gem. § 23 Abs. 3 BetrVG, der Arbeitgeberin aufzugeben, bei Einstellungen und Versetzungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Betriebs diese nach dem Entgeltrahmenabkommen (ERA NRW) einzugruppieren, sofern es sich nicht um AT-Angestellte iSd. ERA NRW oder Leiharbeitnehmer handelt war somit erfolgreich.

Good Night & Good Luck
Ihr, euer Dr. Stephan Grundmann
und Team Arbeitsrecht