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April 2023

Arbeits-) Zeit ist Geld. Oder: Jeder weiß, wie viel er verdient

Doch wie lange wir für eine Tankfüllung, ein Essen oder einen Kinobesuch arbeiten müssen, machten wir uns bislang eher selten klar. Das ist aber für den Wohlstand viel entscheidender, denn der Preis eines Autos oder Fernsehers ändert sich im Lauf der Zeit stark, während ein Tag seit Menschgedenken 24 Stunden hat. Daher gilt für viele der Stundenlohn als das Maß der Dinge. Und das nun in Anbetracht der galoppierenden Inflation erst recht.

Wer den gesetzlichen Mindestlohn verdient, der arbeitet etwa einen Tag nur für seine Monatskarte. Diese Relation gilt für einen Stundenlohn von 12 Euro und ein Monatsticket für Erwachsene im Stadtgebiet von Frankfurt am Main. Für eine Tankfüllung von 45 Litern Superbenzin müssen Mindestlohnempfänger oder Handwerker und Pflegekräfte grob eine Stunde weniger arbeiten als für ein Monatsticket. Im vergangenen Jahr musste ein durchschnittlicher Facharbeiter wegen der hohen Ölpreise fünf Minuten für den Liter Superbenzin arbeiten. Ähnlich ungünstige Verhältnisse herrschten seit der Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre zuletzt nur in den Jahren 2012 und 1981.

Für die Anschaffung eines VW-Golf sind etwa 1280 Arbeitsstunden nötig. Das sind 100 Stunden mehr als im Jahr 1976. Ebenfalls gestiegen ist die Zahl der Arbeitsstunden, die für den Kauf eines Smartphones oder einer Playstation nötig sind. Wir wollen nicht verhehlen, dass die Produkte hochwertiger geworden sind, aber die Löhne eben eher nicht…..

Beamter müsste man sein – Bundesverwaltungsgericht

Urteil vom 28.3.2023 | Aktenzeichen 2 C 20/21

In einem Zeitraum von vier Jahren kommt ein Beamter an 816 Tagen zu spät zum Dienst. Insgesamt 1614 Fehlstunden hat ein Oberregierungsrat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht angehäuft, weil er im Zeitraum zwischen 2014 und 2018 zu spät zur Arbeit gekommen ist. Legt man hier eine 41 Stunden Woche zugrunde, summieren sich die Fehlzeiten auf knapp neun Monate. Der Beamte darf jedoch trotzdem nicht ohne weiteres aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden, so entschieden die Richter am Bundesverwaltungsgericht. Nachdem der Dienstherr im März 2015 Kenntnis davon erlangt hatte, dass der Beamte in einer Vielzahl von Fällen die Kernarbeitszeit nicht eingehalten hatte, leitete sie im November 2015 ein Disziplinarverfahren ein. Auf die 2018 erhobene Disziplinarklage entfernte das Verwaltungsgericht Düsseldorf den Beamten aus dem Beamtenverhältnis, nachdem er an insgesamt 816 Tagen bewusst zu spät zur Arbeit erschienen ist. Dagegen hatte der Beamte erfolglos Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen eingelegt. Das Oberverwaltungsgericht erkannte ebenfalls, dass der Beamte zurecht aus dem Dienst verwiesen wurde. Mildernde Umstände, die ein Absehen von der Höchstmaßnahme geboten hätten, hätten nicht vorgelegen. Gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts legte der Beamte Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein. Das Bundesverwaltungsgericht hob die Urteile der Vorinstanzen auf und stufte den Beamten in das Amt eines Regierungsrats zurück. Zwar habe der Beamte ein schweres Dienstvergehen begangen, jedoch sei die disziplinarische Höchstmaßnahme nicht gerechtfertigt. Die aufaddierte Gesamtseite der täglichen Verspätungen können nicht mit einem monatelangen Fernbleiben vom Dienst gleichgesetzt werden. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der Dienstherr zunächst mit niederschwelligen Disziplinarmaßnahmen auf den Beamten hätte einwirken müssen. Nach Bekanntwerden der Kernzeitverstöße im März 2015 hätte man mit einer Disziplinarverfügung die Dienstbezüge des Beamten kürzen können. Besonders belastend sei jedoch der Umstand gewesen, dass der Beamte sein Fehlverhalten auch nach Einleitung des Disziplinarverfahrens uneinsichtig und beharrlich fortgesetzt habe. Dagegen sei kein mildernder Umstand darin zu sehen, dass die Zeit der morgendlichen Verspätungen durch abendliche länger Arbeit ausgeglichen wurde.

Die Beendigung von Telearbeit (Homeoffice) ist eine zustimmungspflichtige Versetzung

Bundesarbeitsgericht | Beschluss vom 20.10.2021 | Aktenzeichen sieben ABR 34/20

Im Betrieb der Arbeitgeberinnen gilt der Tarifvertrag Telearbeit, auf dessen Grundlage Telearbeit unter anderem in Form von alternierender Telearbeit möglich ist. Im Jahr 2007 vereinbarte die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberinnen mit einer Mitarbeiterin, die sich zum damaligen Zeitpunkt in Elternzeit befand, die Einrichtung eines Tele- Arbeitsplatzes sowie die unbefristete Beschäftigung in alternierender Telearbeit. Diese Vereinbarung konnte von beiden Parteien mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende ohne Angabe von Gründen widerrufen werden. Zum 1.7.2019 wollte die Arbeitgeberinnen die Vereinbarung über die Telearbeit widerrufen und die Mitarbeiterin ausschließlich vor Ort einsetzen. Hierzu leitete die Arbeitgeberinnen dem Betriebsrat einen Antrag auf Zustimmung zu. Sie begründete ihren Antrag und den beabsichtigten Widerruf damit, dass die Betreuung des Kindes der Mitarbeiterin wegen Alters weggefallen sei und veränderte Aufgaben sowie die entstehende Mehrarbeit eine engere und kurzfristige Abstimmung im Team und eine Anwesenheit vor Ort erforderlich mache.

Der Betriebsrat verweigerte form- und fristgerecht seine Zustimmung und berief sich hierbei auf die Zustimmungsverweigerungsgründe aus § 99 Abs. 2 Nr. 1 und 4 Betriebsverfassungsgesetz. Die Arbeitgeberin leitete ein Zustimmungsersetzungsverfahren vor dem Arbeitsgericht ein. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu entschieden, dass die Beendigung von alternierender Telearbeit mit der Folge, dass die Mitarbeiterin wieder ausschließlich an der Betriebsstätte eingesetzt werden soll, eine beteiligungspflichtige Versetzung im Sinne von § 99 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz darstellt. Das Bundesarbeitsgericht hat allerdings den Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz als eine Benachteiligung der Arbeitnehmerin, ohne dass dies aus betrieblichen oder in der Person liegenden Gründen gerechtfertigt ist, verneint. Die Versetzung der im Fall betroffenen Arbeitnehmerin beruhte auf einer unternehmerischen Entscheidung, die nicht auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern als vorgegebener betrieblicher Grund hinzunehmen ist. Zudem ging die unternehmerische Entscheidung der Betriebsänderung über die rein individuelle Veränderung des Einsatzortes der Arbeitnehmerin hinaus, und sie war, auch soweit sie die Versetzung der Arbeitnehmerin betrifft, organisatorisch durchführbar und plausibel. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesarbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats durch die Vorinstanzen bestätigt.

Ohne mein Smartphone geht es nicht

Landesarbeitsgericht Niedersachsen | Beschluss vom 13.10.2022 | Aktenzeichen 3 TaBV 24/22

Im vorliegenden Fall streiten sich Arbeitgeber und Betriebsrat darüber, ob bei der Weisung, die private Nutzung von Smartphones während der Arbeitszeit zu unterlassen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht. Die Arbeitgeberin betreibt einen Betrieb im Bereich der Automobilzulieferungsindustrie. Der weitaus überwiegende Teil der ca. 200 Beschäftigten ist in der Produktion tätig.

Am 18.11.2021 erfolgte folgender Aushang zum Thema „Regeln zur Nutzung privater Handys während der Arbeitszeit“ durch die Werksleitung:
„Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit weisen wir darauf hin, dass jede Nutzung von Mobiltelefonen/Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit nicht gestattet ist. Sofern gegen dieses Verbot verstoßen wird, ist mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen – bis hin zur fristlosen Kündigung – zu rechnen.“

Während der Arbeit in der Produktion kann es beispielsweise durch einen Maschinenumbau zu Wartezeiten kommen. Gleiches gilt für den Versand, wenn auf einen neuen Arbeitsvorgang gewartet wird. Die Betroffenen werden in diesen Leerlaufzeiten teilweise anderweitig eingesetzt oder übernehmen selbstständig neben Tätigkeiten wie das Aufräumen des Arbeitsplatzes. Nachdem der Betriebsrat die Arbeitgeberin unter Hinweis auf Mitbestimmungsrechte aufgefordert hatte, die Maßnahme zurückzunehmen und die Arbeitgeberin dies zurückwies, möchte der Betriebsrat die Unterlassung gerichtlich geltend machen.
In erster Instanz wies das Arbeitsgericht die Anträge des Betriebsrats zurück. Das Verbot der Smartphonenutzung während der Arbeitszeit betreffe das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten. Dieser Ansicht folgte auch das Landesarbeitsgericht Niedersachsen.

Bei Regelungen und Weisungen des Arbeitgebers sei zu unterscheiden zwischen solchen, die die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeitnehmer betreffen und solchen, die das Arbeitsverhalten betreffen. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz hat der Betriebsrat in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb ein Mitbestimmungsrecht. Durch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats soll eine Beteiligung der Arbeitnehmer hieran sichergestellt werden. Nicht mitbestimmungspflichtig sind dagegen Regelungen und Weisungen, die das Arbeitsverhalten betreffen und dadurch lediglich die Arbeitspflicht konkretisieren. Wirke sich eine Regelung auf beide Bereiche aus, komme es darauf an, welcher Regelungszweck überwiege. Entscheidend hierbei ist der objektive Regelungszweck, der sich nach dem Inhalt der Maßnahme und der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens bestimmt.

Vorliegend geht es in der Regelung um ein Verhalten, dass die Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit unterlassen sollen, da dies der tatsächlichen Arbeitsleistung entgegenstehen würde. Demnach scheidet die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz aus. Schwerpunkt der Maßnahme liegt nicht in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Die Tatsache, dass von der Regelung auch Leerlauf -und Wartezeiten erfasst werden, ändert hieran nichts. Da Leerlauf -und Wartezeiten einen geringen Teil der Arbeitszeit ausmachen, ist in zeitlicher Hinsicht überwiegend das Arbeitsverhalten von der Regelung betroffen. Außerdem gibt es Nebenleistungen, die in Zeiten, in denen die eigentliche Arbeitsleistung nicht erbracht werden kann, selbstständig ausgeführt werden können. Demnach sind die Zeiten, in denen keinerlei Arbeitsleistung erwartet werden kann, so gering, dass sie nichts an dieser Bewertung ändern.

Flinke Frauenhände bevorzugt

Landesarbeitsgericht Nürnberg | Urteil vom 13.12.2022, Aktenzeichen 7 Sa 168/22

Die Beklagte stellt Modellfahrzeuge im Maßstab eins zu 87 mit 100-150 Einzelteilen her und hatte eine Stelle als Bestücker (m/w/d) für eine Digitaldruckmaschine ausgeschrieben. In der Stellenbeschreibung hieß es unter anderem, dass Bewerber Fingerfertigkeit bzw. Geschick mitbringen müssten, da die an der Maschine verwendeten Teile sehr klein seien und teilweise mithilfe von Pinzetten positioniert werden müssten. Der Mann erhielt nach seiner Bewerbung eine Absage. Darin hieß es: „Unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände“.

Damit sei der Mann wegen seines Geschlechts diskriminiert worden, entschied das LAG Nürnberg. Das Argument des Unternehmers, bei der Internetrecherche auf Bilder des Mannes gestoßen zu sein, die seine großen Hände zeigten, ließ das LAG nicht gelten. Daraus lasse sich nichts über die Fingerfertigkeiten des Mannes ableiten. Die Gelegenheit, mittels Probearbeiten nachzuweisen, dass er zu der kleinteiligen Arbeit bei der Beklagten willens und in der Lage sei, wurde ihm nicht gegeben, eben „weil er ein Mann war“, heißt es in dem Urteil.

Die Bewerbung des Mannes sei auch nicht rechtsmissbräuchlich. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Mann nur auf die Stelle bewarb in der Hoffnung auf eine Absage, lagen laut Gericht nicht vor. Das Gericht hielt eine Entschädigung in Höhe von 2500 €, was dem 1,5-fachen des auf die auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttogehalt entspricht, für angemessen.

Da helfen auch 30 Jahre Betriebszugehörigkeit nichts

Landesarbeitsgericht Düsseldorf | Urteil vom 4.10.2022 | Aktenzeichen 8 Sa 326/22

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihren Impfpass fälschen, können fristlos gekündigt werden.
Im vorliegenden Fall hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf zum Ausdruck gebracht, dass es eine Impfpassfälschung grundsätzlich als wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung anerkenne.

Die Vorlage eines gefälschten Ausweises in der Absicht die Nachweispflicht des § 28b Abs. 1 Infektionsschutzgesetzes zu umgehen, stellt eine Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dar. Die Verletzung wiege so schwer, dass sie geeignet sei, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (trotz über 30jähriger Betriebszugehörigkeit). Die Vorlage eines gefälschten Ausweises zeugte vorliegend von einem hohen Maß krimineller Energie, sodass das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber nachhaltig gestört war. Der Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses ist zudem eine Straftat (§ 279 Strafgesetzbuch). Wegen der Schwere des Verstoßes komme es (grundsätzlich) weder auf eine Wiederholungsgefahr noch auf den langjährigen störungsfreien Bestand des Arbeitsverhältnisses an.

Die außerordentliche Kündigung scheiterte in einem anderen vom LAG Düsseldorf entschiedenen – Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 04.10.2022 – 3 Sa 374/22 – Fall jedoch daran, dass der Arbeitnehmer bereits seit 19 Jahren im Betrieb beschäftigt war, die Fälschung sofort gestanden hatte und sich der Arbeitgeber ebenfalls ein Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz vorhalten lassen musste.

Von Ausschlussfristen und dem Nachweisgesetz

Bundesarbeitsgericht | Urteil vom 22. September 2022 | Aktenzeichen 8 AZR 4/21

Eine Besonderheit im Arbeitsverhältnis besteht unter anderem darin, dass sowohl in Tarifverträgen als auch in Arbeitsverträgen Ausschlussfristen geregelt sind. Mit solchen Ausschlussfristen soll erreicht werden, dass beide Vertragsparteien innerhalb einer bestimmten Frist sich bei der jeweils anderen Vertragspartei melden, wenn Ansprüche bestehen, die trotz Fälligkeit nicht erfüllt wurden. Werden die Ansprüche nicht innerhalb der geregelten Frist geltend gemacht, gehen diese Ansprüche ersatzlos unter. Das Bundesarbeitsgericht musste sich vor diesem Hintergrund mit den Bestimmungen des Nachweisgesetzes und die sich hieraus ergebenden Folgen auf in einem Tarifvertrag geregelten Ausschlussfristen befassen. Das Nachweisgesetz bestimmt in § 2 Abs. 1, dass der Arbeitgeber spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederlegen, die Niederschrift unterzeichnen und dem Arbeitnehmer aushändigen muss. Dabei gehören Ausschlussfristen nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zu den wesentlichen Vertragsbedingungen. Verstößt der Arbeitgeber gegen die Pflicht aus dem Nachweisgesetz, weil er nicht darauf hinweist, dass in dem Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag zur Anwendung kommt, in dem eine Ausschlussfristenregelung enthalten ist, muss der Arbeitgeber Schadensersatz an den Arbeitnehmer bezahlen, wenn ein Arbeitnehmer einen Anspruch nur deshalb nicht mehr geltend machen kann, weil er ihn nicht rechtzeitig geltend gemacht. Schließt der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag und ist eine Ausschlussfrist Bestandteil dieses Arbeitsvertrages, kann es nicht zu Schadensersatzansprüchen kommen, weil ein schriftlicher Arbeitsvertrag den Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen erbringt, wie es vom Nachweisgesetz verlangt. Problematisch wird es jedoch, wie im vorliegenden Fall, wenn im Arbeitsvertrag lediglich pauschal und ohne Spezifizierung darauf verwiesen wird, dass auf das Arbeitsfeld ein Tarifvertrag zur Anwendung kommt. Dann weiß zwar der Arbeitnehmer, dass es ein Tarifvertrag gibt, der auf das Arbeitsverhältnis wirkt, der Arbeitnehmer weiß aber nicht, dass im Tarifvertrag eine Ausschlussfrist geregelt ist, die er zu wahren hat, wenn er Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen möchte.

Entfällt jetzt das Fixum

LAG Hamm | Urteil vom 23.11.2022 | Aktenzeichen 9 Sa 682/22

Was passiert eigentlich mit einem Anspruch auf Zahlung eines Fixums, wenn eine entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag betriebsvereinbarungsoffen gestaltet ist?

Im vorliegenden Fall verlangt der Arbeitnehmer eine Zahlung, die seiner Ansicht nach in seinem Arbeitsvertrag vorgesehen ist. Demnach erhält er „ein monatliches Fixum in Höhe von 1.100 DM sowie Provisionen und Prämien gemäß der jeweils gültigen Betriebsvereinbarung (BV zunächst aus dem Jahre 1997).“ Nachdem im Unternehmen eine Betriebsvereinbarung in Kraft getreten war, wonach es keinen Anspruch mehr auf Zahlung eines Fixums geben sollte, sondern nur noch Provision (BV 2004), stellte der Arbeitgeber die Zahlung des Fixums ein. Das war dann die nächsten 17 Jahre ok…, bis der Kollege meinte, dass das damals doch nicht so hätte geregelt werden dürfen. Er hält seinen Anspruch auf Zahlung des Fixums für begründet, da seiner Meinung nach die Regelung im Arbeitsvertrag nicht betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet sei.

Dies sah das Landesarbeitsgericht Hamm überraschenderweise aber nicht so. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf die Zahlung eines monatlichen Fixums. Denn laut Arbeitsvertrag erhält er für seine Tätigkeit ein monatliches Fixum sowie Provisionen und Prämien gemäß der jeweils gültigen Betriebsvereinbarung.

Diese Regelung sei daher betriebsvereinbarungsoffen gestaltet, so das Landesarbeitsgericht Hamm. Und laut der entsprechenden Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2004 sei diese Zahlung im Verkauf – also dem Bereich des Klägers – ausgeschlossen. Die Arbeitsvertragsparteien könnten ihre vertraglichen Absprachen dahingehend gestalten, dass sie einer Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen. Dies sei nicht nur bei betrieblichen Einheitsregelungen möglich, sondern auch bei einzelvertraglichen Abreden. Bei der Auslegung einer entsprechenden Regelung im Arbeitsvertrag im Rahmen der Vorschriften zu allgemeinen Geschäftsbedingungen ergebe sich, dass die Vergütungszusage betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet worden sei. Die arbeitsvertragliche Regelung stehe ausdrücklich unter dem Vorbehalt einer betriebsverfassungsrechtlichen Neuregelung (das hatte die Vorinstanz übrigens anders gesehen: Sie fand die Formulierung unklar (305c) und hatte zulasten des Arbeitgebers entschieden).

Wer zahlt das Honorar der Beisitzer

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern | Beschluss vom 31.5.2022 | Aktenzeichen 5 TaBV 17/21

Im vorliegenden Rechtsstreit streiten sich die Beteiligten über die Zahlung eines Honorars für die Tätigkeit eines betriebsfremden Einigungsstellenbeisitzers.
Die Arbeitgeberin erbringt mit mehreren 100 Mitarbeitern Logistikdienstleistungen wie die Lagerung und Verteilung von Waren. Im Jahr 2019 verhandelte sie mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitskleidung. Am 14.11.2019 stellte der Betriebsrat das Scheitern der Verhandlungen fest und beschloss, die Einigungsstelle anzurufen. Dem Vorschlag des Betriebsrats, jeweils vier Beisitzer zu bestellen, stimmte die Arbeitgeberin mit E-Mail vom 29.11.2019 zu. Der Betriebsrat benannte daraufhin mit Beschluss vom 23.1.2020 zwei im Betrieb beschäftigte sowie zwei betriebsfremde Beisitzer, nämlich einen Fachanwalt für Arbeitsrecht und den Beteiligten zu Eins, der als Gewerkschaftssekretär langjährig für diesen Betrieb zuständig war und sich mittlerweile im Ruhestand befand. Der kurz zuvor neu gewählte Betriebsratsvorsitzende, der erstmalig einer Einigungsstelle angehörte und diesbezüglich noch über keine Erfahrungen verfügt, hatte den Beteiligten zu Eins um dessen Unterstützung gebeten. In seiner Funktion als Gewerkschaftssekretär war der Beteiligte zu Eins regelmäßig mit Fragen der Arbeitskleidung befasst. Die Einigungsstelle Arbeitskleidung verhandelte an insgesamt drei Tagen. Der Gewerkschaftssekretär nahm an sämtlichen Sitzungen teil. Der Vorsitzende der Einigungsstelle stellte der Arbeitgeberinnen pro Sitzungstag ein Honorar in Höhe von 3500 €, insgesamt also ein Honorar in Höhe von 10.500 € netto zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. Unter Bezugnahme hierauf rechnete der Gewerkschaftssekretär unter dem 5.6.2021 gegenüber der Arbeitgeberin ein Honorar in Höhe von 70 % der Vergütung des Vorsitzenden ab, also einen Betrag von 7350 €. Die Arbeitgeberin zahlte zwar das Honorar für den als Beisitzer benannten Fachanwalt für Arbeitsrecht, lehnte aber die Zahlung eines Honorars für einen weiteren betriebsfremden Beisitzer ab.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats und des Gewerkschaftssekretärs entsprochen. Zur Begründung führte es aus, dass es zulässig sei, auch betriebsfremde Beisitzer für die Einigungsstelle zu bestellen. Die Anzahl der betriebsfremden Beisitzer sei gesetzlich nicht begrenzt. Der Betriebsrat dürfe ebenso wie der Arbeitgeber mehr als einen externen Beisitzer benennen. Ausschlaggebend sei das Vertrauen in die Person und in die Fachkompetenz des Beisitzers. Der Honoraranspruch des Beisitzers hänge nicht davon ab, ob seine Bestellung im Einzelfall erforderlich gewesen sei. Der Maßstab des § 40 Betriebsverfassungsgesetz findet keine Anwendung. Auf die Erforderlichkeit komme es nur dann an, wenn es um die Anzahl der Beisitzer gehe. Im Hinblick auf den Umfang des Regelungsgegenstandes seien beide Seiten einvernehmlich davon ausgegangen, dass jeweils vier Beisitzer erforderlich gewesen seien. Ein Honoraranspruch sei allenfalls dann ausgeschlossen, wenn die Bestellung durch den Betriebsrat auf offenkundig sachwidrigen Motiven beruhe, die der Beisitzer gekannt habe oder habe kennen müssen. Dafür gebe es aber vorliegend keine Anhaltspunkte, so das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern.

Finde den Fehler: Hätte der Anwalt auf Arbeitgeberseite aufgepasst, dann hätte er auf zwei, höchstens drei Beisitzern bestanden, dann wäre das nicht passiert…..

Für Gewerkschaftsmitglieder gibt es (in diesem Fall) nicht mehr

Landesarbeitsgericht Düsseldorf | Urteil vom 29.6.2022 | Aktenzeichen 1 Sa 991/21

Die Klägerin war seit dem 3.4.2000 bei der Beklagten, einer Servicegesellschaft aus dem Bereich der Luftfahrt, beschäftigt. Im Zuge einer Umstrukturierungsmaßnahme wurde ihr Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum 30.6.2020 gekündigt.
Bereits im Jahre 2017 hatte das Unternehmen einen Personalabbau durchgeführt. Nach dem seinerzeit vereinbarten Sozialplan vom 6.12.2017 berechnete sich die Abfindung für die gekündigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie folgt: Betriebszugehörigkeit X Monatsbrutto X 0,9. Außerdem war mündlich vereinbart worden, dass Gewerkschaftsmitglieder der Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) einen erhöhten Abfindungsfaktor von 1,0 erhalten, wenn sie keine Kündigungsschutzklage erheben.

Im Rahmen der zweiten Umstrukturierungsmaßnahme im Jahr 2019 hatte man mit dem Betriebsrat vereinbart, dass der bereits bestehende Sozialplan auch jetzt gilt. Auf der Grundlage einer weiter abgeschlossenen Betriebsvereinbarung erhielten Beschäftigten zusätzlich zur Sozialplanabfindung 5000 €, wenn sie keine Kündigungsschutzklage erheben. Nach Auszahlung der Abfindung auf der Basis eines Abfindungsfaktors von 0,9 verlangte die Klägerin mit ihrer Klage einen um den Faktor 0,1 erhöhten Abfindungsbetrag. Sie behauptet, sie sei Mitglied der Gewerkschaft NGG und deshalb berechtigt, den erhöhten Faktor geltend zu machen. Sie berief sich dabei auf die mündliche Vereinbarung aus dem Jahr 2017. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen. Die Gewerkschaftsmitglieder haben keinen weiteren Anspruch auf eine um den Faktor 0,1 erhöhte Sozialplanabfindung. Etwaige Erklärungen der Arbeitgeberin in der Betriebsratssitzung vom 18.9.2019 hätten sich allenfalls an den Betriebsrat gerichtet. Mangels Einhaltung der für Betriebsvereinbarungen erforderlichen Schriftform kann die von der Beklagten bestrittene Zusage zu keinen Rechtsansprüchen der Arbeitnehmer führen. Die bloße formlose Aussage gegenüber dem BR begründet keinen individualrechtlichen ANSPRUCH. Denn – bedenke – der BR ist nicht arbeitsvertraglicher Vertreter der Mitarbeitenden.

Merke: Tatsächlich kann für Gewerkschaftsmitglieder mehr an Zahlung festgelegt werden. Dafür braucht es aber einen TV. Die damals erfolgte Auszahlung entbehrte jeglicher Grundlage – Glück gehabt….

Keine Mitbestimmung bei strenger Attestpflicht

Bundesarbeitsgericht | Beschluss vom 15.11.2022 | Aktenzeichen eins ABR 5/22

Im vorliegenden Fall streiten Betriebsrat und Arbeitgeber darüber, ob der Arbeitgeber einzelne Beschäftigte anweisen darf, ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits ab dem ersten Krankheitstag vorzulegen, ohne dass dies mit dem Betriebsrat abgestimmt wäre. Konkret ging es um ein Dokument, das im Verlauf mehrerer Jahre 17 von insgesamt über 1165 Arbeitnehmern des Betriebs erhalten hatten. Darin hieß es unter anderem, die Empfänger seien ab Erhalt dieses Schreibens bis auf Widerruf dazu verpflichtet jede Krankmeldung durch ein ärztliches Attest vom ersten Fehltag an im Servicecenter Personal vorzulegen. Bei Verstoß gegen diese Attestpflicht würden arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet.

Der Betriebsrat sah darin einen Verstoß gegen seine Mitbestimmungsrechte beim Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz und forderte die Firma auf, weitere Schreiben dieser Art zu unterlassen bzw. bereits ausgesprochene Anordnungen zurückzunehmen. Als die Firma dies verweigerte, beantragte das Gremium vor Gericht eine Unterlassungsverfügung. Wie schon die Vorinstanzen, wies auch das Bundesarbeitsgericht das Verlangen des Betriebsrats als unbegründet ab. Die Anordnungen des Arbeitgebers unterfielen nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
Zwar seien Nachweispflichten von Arbeitnehmern bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit prinzipiell mitbestimmungspflichtig, ein dafür notwendiger kollektiver Sachverhalt ist aber nur gegeben, wenn die entsprechenden Anordnungen des Arbeitgebers regelhaft erfolgen. Denn die Tatsache, dass von der Anweisung im Streitfall nur eine äußerst geringe Zahl der Mitarbeiter betroffen sei, deutet gerade darauf hin, dass es sich jeweils um spezifische Einzelfallentscheidungen handelt, die keiner bestimmten Regelhaftigkeit folgen. Zudem stehe es laut § 5 Abs. 1 Satz 3 Entgeltfortzahlungsgesetz grundsätzlich im nichtgebundenen Ermessen des Arbeitgebers, im Einzelfall die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits vor dem vierten Tag der Erkrankung zu verlangen. Vor diesem Hintergrund komme vorliegend ein Mitbestimmungsrecht nicht infrage, so das Bundesarbeitsgericht.

Good Night & Good Luck
Ihr, euer Dr. Stephan Grundmann
und Team Arbeitsrecht