Die BILD titelt: "Machen die Krankentage unseren Wohlstand kaputt?"- Ein differenzierter Blick tut Not
Der Chef der Allianz fordert einen Karenztag. Danach sollen Beschäftigte den Lohnausfall für den ersten Tag einer Krankheit selbst tragen. Da die Arbeitgeber die Lohnfortzahlung ab dem ersten Arbeitstag zu tragen haben, haben sie schon häufiger gefordert, die Belastung für die Unternehmen durch die Ausfälle der Beschäftigten zu reduzieren. Diese lagen in 2023 insgesamt bei 76,7 Milliarden. Begleitet wird das Thema von den unsäglichen Hausbesuchen von Tesla Managern bei Kranken und der Debatte um die Teilzeiterkrankung.
Die Änderung der Rechtslage wäre einfach:
Der Gesetzgeber müsste lediglich in § 3 EFZG eine Ergänzung dahingehend einfügen, dass die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers erst ab dem zweiten Tag der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit des Beschäftigten beginnt.
Ein Blick zurück: Die aktuelle Regelung der Lohnfortzahlung für sechs Wochen gibt es erst seit den 90er-Jahren. Sie ist ein Erfolg der Gewerkschaften, die durch Streiks den Gesetzgeber schon im Jahr 1969 dazu brachten, den arbeitgeberseitigen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gesetzlich zu regeln. Dieser lag zunächst bei 100 Prozent, wurde unter der Kohl-Regierung auf 80 Prozent abgesenkt und erst 1999 durch die damalige rot-grüne Bundesregierung zu 100 Prozent wieder im Gesetz vorgesehen.
UND? ist eine Änderung – aufgrund neuer Erkenntnisse – sinnvoll?
Denn
- Wird nicht die Mutmaßung des „Blaumachens“ vorgeschoben, um die Axt an diese richtige und bewährte Lösung zu legen?
- Ist durch das neue Melderecht – automat. Weiterleitung an die Krankenkasse – nicht erstmals die „richtige“ Zahl zutage getreten?
- Ist die große Zahl Ergebnis neuer Krankheitsbilder (psychischer Art)?
- Will die Allianz eine Privatversicherung auflegen;-)?
- Womöglich schleppen sich Menschen krank zur Arbeit und stecken andere an.
- Wie gut ist die betriebliche Prävention?
- Ist es wirklich eine sinnvolle erzieherische Maßnahme, aufgrund derer die Blaumacher dieses dann nicht mehr tun?
Es könnte sich verschlimmern: Nämlich, dass “Blaumacher” sich nicht nur für einen Tag feiern, sondern gleich längere Zeit krankschreiben lassen.
Der Verweis auf die anderen Länder: Mag sein, dass diese weniger zahlen, aber das ist eher ein Beleg für deren schlechtere soziale Absicherung und ein Statistikvergleich mit der Menge der Krankheitstage ist aufgrund deren vielfältig anderer Rahmenbedingungen ein Hinkebein. Das Renteneintrittsalter in Frankreich liegt wesentlich niedriger. Und wer bei uns noch über 60 schafft, wird naturgemäß häufiger krank und kommt in die Entgeltfortzahlung. Der frz. Rentner trinkt da schon seinen Pastis.
Das deutsche Entgeltfortzahlungsrecht gilt aufgrund des hohen Beweiswertes des GELBEN SCHEINS als durchaus arbeitnehmerfreundlich. Dadurch enthält es aber zuweilen auch Schlupflöcher zugunsten derer, die nur „blaumachen“.
Jedes richtige, gute und wichtige System der sozialen Absicherung ermöglicht es aus der generösen Gestaltung heraus immer, dass sich Kollegen / Menschen unsolidarisch verhalten. Jeder kennt aus dem Berufsleben Kollegen, die verdächtig häufig mal nicht erscheinen. Wir müssen weg vom Systemangriff durch Generalverdacht und hin zu dem genauen Hinsehen auf bestimmte Fallgestaltungen.
Wichtig wäre es, genau wie die Möglichkeit des Verlangens einer Krankenbescheinigung bereits für den ersten Tag, die elektronische Meldung an sich auf den Prüfstand zu stellen. Der Arbeitgeber könnte die Berechtigung bekommen, in Ausnahmefällen einen Arztbesuch zu verlangen. Damit wäre ein Ausgleich möglich, zwischen der mit Recht erleichterten Meldung auf der einen und dem genaueren Blick auf besondere Fälle auf der anderen Seite. Die Solidargemeinschaft sollte ein Interesse daran haben, dass nicht einige Wenige eine gute Sache “kaputtnutzen“.
Und bereits jetzt kann der medizinische Dienst eingeschaltet werden, womit eine genauere Betrachtung von Ausnahmen nichts Systemfremdes ist.