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Juni 2025

Heute ein wenig politisch… „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ (Sprechchor der Erwerbslosenwehr aus dem Jahre 1930 - Quelle nicht der CSU-Dobrindt, sondern WIKIPEDIA).

Mein Opa, guter Mann, war Sozialdemokrat, schaffte bei Hoesch und sammelte Beiträge für die Knappschaft, der Arbeiter Opa. Mit meinem CDU-Papa hatte er immerhin gemein, dass beide Helmut Schmidt mochten, wenngleich mein Vater der Ansicht war, dass der auf jeden Fall in der falschen Partei sei.

Was ist in die Buben gefahren? Nun muss nicht jeder, selbst als Sozialdemokrat tatsächlich mal Hand im wirklichen Leben angelegt, sprich im Arbeitsleben gestanden haben, um Abgeordneter zu werden (fänd´ ich schon besser), aber Verstand zeigen wäre hilfreich. Und wenn Du fern vom Arbeitsleben unterwegs bist, dann frag´ doch bitte Menschen, die erstens Menschen sind und zweitens etwas vom Menschsein im Arbeitsleben verstehen.

Da fragt der Lars Klingbeil, unser aktueller Finanzminister und Vizekanzler, Studium der Politikwissenschaften, Soziologie und Geschichte und danach direkt in den Bundestag – also ferner als fern vom Arbeitsleben -, den Ökonomen Jens Südekum Professor für internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, seit 2020 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, wie man denn hier in Deutschland vorwärtskommen könne. Überraschend: Er ist SPD-Mitglied. Das scheint Expertise genug zu sein, denn auch in seinem Lebenslauf steht nur Schule und Uni.

Der Herr Berater des Bundesfinanzministers Klingbeil hat die Lösung:
Er fordert, den Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer zu lockern. „Ich verstehe zum Beispiel nicht, weshalb der Kündigungsschutz für Arbeitnehmer mit 65 im gleichen Ausmaß (??!) wie für jüngere Beschäftigte gelten sollte“, sagte der Herr Ökonom in einem Interview mit der „Zeit“.

Er glaube, dass der Kündigungsschutz ein Grund dafür sei, dass Unternehmen ältere Menschen nicht weiterbeschäftigen, weil sie glauben, „sie nicht loswerden zu können“. Es brauche da mehr Flexibilität (zum Loswerdenkönnen?), so Südekum. Nicht nur, dass er das bestehende RECHT bereits falsch verstanden hat, obendrein fordert er noch eine verschärfte Schlechterstellung.
Der Mann hat also nicht nur fehlende Empathie, sondern auch NULL Ahnung vom Arbeitsrecht– ein Experte halt.
Neue Berater braucht das Land- lang ist´s her, dass ein Fliesenlegermeister, der als solcher auch gearbeitet hat – Arbeitsminister war – ja, nicht nur wer Geschichte studiert hat, kennt vielleicht noch den Riester (leider am Ende ein wenig den Versicherern zugetan).
Bevor ich es vergesse: Laut Klingbeil ist Südekom einer der führenden Ökonomen unseres Landes….. Na dann aber gute Nacht.

Wer war noch gleich dieser Herr Heil?? Hubertus? Ne, das ist der Patron der Jäger. Ne, der nicht! Warte: SPD-Hubertus? YES. Retter der Welt und der Bürgergeldgerechtigkeit. Reformer des Arbeitszeitgesetzes??? Ne, nur 1000x berührt.

Jetzt aber: Im Koalitionsvertrag heißt es, dass im Einklang mit der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie flexibilisiert werden soll. Wie??? Künftig soll es eine wöchentliche, nicht mehr tägliche Höchstarbeitszeit geben. Befeuert wird das Ganze durch eine Studie des Dt. Instituts der Wirtschaft (DIW). Tenor: „Flexiblere Arbeitszeitformen im Büro bedingen keine Gesundheitsrisiken“. Eine Arbeitszeit von mehr als zehn Stunden habe „keine negativen Effekte“. Dasselbe gelte für Ruhezeitverkürzungen, wenn die Arbeit tagsüber für Privates oder Erledigungen unterbrochen und abends nachgeholt werde. Daher, fordert das DIW, Arbeitszeiten jenseits der zehn Stunden und verkürzte Ruhezeiten zu erlauben. Also Privates und Arbeit werden Eins? Mal sehen, was die Bärbel B. (Schutzpatronin der Bergleute;-)) damit macht.

Können wir bitte diesen Hubertus wiederbekommen. Da ist mir dessen garantiertes NIXTUN schon lieber. Entschuldigung, aber ich bin hier, merkt man gar nicht, ungehalten. Nach seinem Antritt gab es die vollmundigsten Ankündigungen und dann ein großartiges Nichts. Der Arbeitsrechtstiger als Bettvorleger. Dabei muss dringend etwas geschehen, aber nicht das Obige.

Und noch etwas zum Mitnehmen: Mehr als 30% aller Unternehmen rechnen mit einem verstärkten Jobabbau durch KI. Keine Sorge, direkt betroffene Berufe gibt es wenige, es ist mehr der sinkende Arbeitsumfang bezogen auf alle Jobs. Ja dann…..

Pardon, wegen der klaren Ansprache, aber wenn es so richtig schlimm wird…….

Überstunden-Marathon zahlt sich aus

LAG Niedersachsen | 4 SLa 52/24

Dieser Fall betrifft Überstunden und deren Bezahlung, ein Thema, das viele Arbeitnehmer aus dem Alltag kennen. Eine Angestellte in Niedersachsen war laut Vertrag in Teilzeit mit 24 Wochenstunden beschäftigt, arbeitete aber in einem kleinen Kfz-Betrieb, der lange Öffnungszeiten hatte. Tatsächlich war sie die einzige Bürokraft und zugleich für das Lager zuständig. Ihr wurde aufgetragen, durchgehend das Telefon und die Terminvergabe zu übernehmen, während die Werkstatt von Montag bis Donnerstag 8 bis 18 Uhr (und Freitag bis 17 Uhr) geöffnet war. Praktisch bedeutete das: Obwohl nur 24 Stunden vereinbart waren, musste sie faktisch fast den ganzen Tag anwesend sein, um den Betrieb am Laufen zu halten – oft auch an Samstagvormittagen. Die Mitarbeiterin trug über längere Zeit in einen Kalender ihre Arbeitszeiten ein, die tatsächlich weit über die 24 Stunden hinausgingen (sie behauptete z. B., täglich von 8 bis 18 Uhr mit einer Stunde Pause gearbeitet zu haben). Überstunden wurden von ihr regelmäßig geleistet, doch der Arbeitgeber zahlte sie nicht aus. Er vertrat die Auffassung, er habe weder Überstunden angeordnet noch geduldet. Als die Arbeitnehmerin schließlich rund 50.000 € brutto an Überstundenvergütung einklagte, stellte sich der Betrieb auf den Standpunkt: „Wir haben dich nie zu Mehrarbeit angewiesen, du hast das freiwillig oder eigenmächtig gemacht, also müssen wir auch nicht zahlen.“ Außerdem gab es im Unternehmen keinerlei Zeiterfassung, die die Behauptungen der Klägerin untermauern oder widerlegen konnte. In erster Instanz vor dem Arbeitsgericht verlor die Arbeitnehmerin – vermutlich, weil dort sehr strenge Anforderungen an den Nachweis von Überstunden gestellt wurden.

Das LAG Niedersachsen entschied zugunsten der Arbeitnehmerin und sprach ihr einen Großteil der geforderten Überstundenvergütung zu – konkret erkannte es 20 vergütungspflichtige Überstunden pro Woche im relevanten Zeitraum (2020 bis 2022) an. Dieses Urteil erregte Aufsehen, weil es die bisherige Rechtsprechung spürbar weiterentwickelt. Üblicherweise muss der Arbeitnehmer detailliert nachweisen, an welchen Tagen und zu welchen Uhrzeiten er mehr gearbeitet hat als vereinbart, und außerdem, dass der Arbeitgeber das veranlasst oder zumindest gebilligt hat. Hier sagte das LAG: Die Klägerin hat durch ihre Kalendereinträge schlüssig und plausibel dargelegt, dass sie praktisch jeden Werktag ganztägig im Einsatz war. Diese Zeiten stimmten genau mit den Öffnungszeiten des Betriebs überein. Der Arbeitgeber hingegen hatte nichts Substanzielles entgegenzusetzen. Er hat lediglich pauschal bestritten, dass so viel gearbeitet wurde, aber keine konkreten eigenen Aufzeichnungen oder andere Beweise vorgelegt. Und genau hier setzt das Gericht an: Seit einem Grundsatzbeschluss des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2022 ist klar, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten zu erfassen (auf Basis europäischer Arbeitsschutz-Vorgaben). Wenn der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nachkommt, kann ihm das im Prozess zum Verhängnis werden. Das LAG argumentierte nämlich: Hätte der Arbeitgeber ein ordnungsgemäßes Zeiterfassungssystem eingerichtet, könnte er nun präzise darlegen, wann die Klägerin gearbeitet hat und wann nicht. Da er das versäumt hat, muss er sich ihre schlüssige Darstellung entgegenhalten lassen. Er befindet sich quasi in selbst verschuldeter Beweisnot. Darüber hinaus erkannte das Gericht hier eine Veranlassung bzw. Duldung der Überstunden: Die Mitarbeiterin war allein verantwortlich für Aufgaben, die ununterbrochen während der Öffnungszeiten anfielen (Telefon, Empfang, Terminplanung). Dass eine Teilzeitkraft diese Arbeit überhaupt in 24 Stunden schaffen konnte, war unrealistisch. Der Chef hat aber trotzdem diese Organisation gewählt – damit hat er zumindest stillschweigend akzeptiert, dass sie länger arbeitet, um alles zu bewältigen. Folglich wurden die Überstunden als vom Arbeitgeber gebilligt gewertet. Das LAG ließ die Revision zum BAG zu, weil die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Kündigung ohne Beweis des Zugangs?

BAG | 2 AZR 68/24

Eine Arbeitnehmerin erhielt von ihrem Arbeitgeber eine Kündigung per Einwurf-Einschreiben (das ist ein Einschreiben, das vom Postboten in den Hausbriefkasten gelegt wird). Die Mitarbeiterin war zu diesem Zeitpunkt schwanger, weshalb eine vorherige Kündigung bereits unwirksam gewesen war. Der Arbeitgeber holte zwar die behördliche Zustimmung zur Kündigung während der Schwangerschaft ein, behauptete dann, am 26. Juli 2022 erneut fristlos (und hilfsweise fristgerecht) gekündigt zu haben – eben mit dem besagten Einschreiben. Die Arbeitnehmerin bestritt jedoch, dieses Kündigungsschreiben erhalten zu haben. Später klagte sie auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht beendet wurde. Der Arbeitgeber argumentierte, das Arbeitsverhältnis sei durch den Zugang des Kündigungsschreibens sehr wohl beendet worden, denn die Mitarbeiterin habe keine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen erhoben. Er führte ins Feld, er könne anhand eines Einlieferungsbelegs der Post und des Online-Sendungsverlaufs nachweisen, dass der Brief am 28. Juli 2022 zugestellt worden sei. Einen besonderen Auslieferungsbeleg der Post (mit Unterschrift des Zustellers) konnte er allerdings nicht mehr vorlegen. Das Arbeitsgericht gab zunächst dem Arbeitgeber Recht, doch in zweiter Instanz bekam die Arbeitnehmerin vom Landesarbeitsgericht Recht – der Fall ging schließlich zum Bundesarbeitsgericht (BAG).
Das BAG bestätigte die Auffassung der Arbeitnehmerin und stellte klar: Eine Kündigung geht erst dann wirksam zu, wenn sie tatsächlich in den Machtbereich der Arbeitnehmerin gelangt, hier also in ihren Briefkasten, sodass sie unter normalen Umständen davon Kenntnis nehmen kann. Die Beweislast dafür liegt beim Arbeitgeber. Im Prozess konnte der Arbeitgeber keinen direkten Beweis erbringen, dass der Brief tatsächlich in den Briefkasten der Mitarbeiterin eingeworfen wurde. Weder hatte er einen Zeugen (etwa den Postboten) benannt, noch den Auslieferungsbeleg der Post rechtzeitig angefordert. Das Gericht entschied, dass ein bloßer Einlieferungsbeleg und ein Sendungsverfolgungs-Status („zugestellt am …“) nicht ausreichen, um den Zugang des Kündigungsschreibens mit hinreichender Sicherheit zu beweisen. Ein Online-Status nennt weder den Zusteller noch die genaue Adresse oder Uhrzeit der Zustellung – er sagt nicht aus, ob der Brief wirklich im richtigen Briefkasten gelandet ist. Ein solcher Nachweis ersetzt nicht den offiziellen Auslieferungsbeleg mit Unterschrift des Zustellers. Da der Arbeitgeber hier keine weiteren Beweise hatte, blieb er „beweisfällig“, wie es juristisch heißt. In der Konsequenz gilt die Kündigung als nicht zugegangen. Wichtig war dabei auch: Wenn eine Kündigung dem Arbeitnehmer nicht zugeht, beginnt die dreiwöchige Klagefrist nach dem Kündigungsschutzgesetz nicht zu laufen. Die zweite Kündigung vom Juli 2022 hatte das Arbeitsverhältnis daher nicht wirksam beendet.

Wahlbrief statt Wahllokal – Homeoffice wählt mit!

BAG | 7 ABR 34/23

In diesem Fall ging es um die Betriebsratswahl in einem sehr großen Unternehmen – hier der Volkswagen AG im Werk Wolfsburg – unter besonderen Umständen. Zur Zeit der Wahl im März 2022 arbeiteten zahlreiche Beschäftigte im Homeoffice oder waren in Kurzarbeit, bedingt durch die COVID-19-Pandemie und Lieferengpässe. Normalerweise findet eine Betriebsratswahl als Präsenzwahl im Betrieb statt, und Briefwahlunterlagen werden nur in bestimmten Ausnahmefällen verschickt. Angesichts der besonderen Lage entschied der Wahlvorstand (das Gremium, das die Wahl organisiert), tausende Beschäftigte ohne gesonderten Antrag per Briefwahl wählen zu lassen: Etwa 26.000 Angestellte im Verwaltungsbereich, die wegen der betrieblichen Anordnung weitgehend im Homeoffice waren, bekamen unaufgefordert Briefwahlunterlagen zugeschickt. Zudem wurden ab Mitte Februar 2022 viele Produktionsmitarbeiter in Kurzarbeit geschickt; alle ca. 33.000 betroffenen Produktionsbeschäftigten erhielten ebenfalls Briefwahlunterlagen nach Hause. Insgesamt wurden also für einen Großteil der Belegschaft Briefwahlstimmen vorgesehen – am Ende stimmten rund 35.000 der 39.500 Wahlberechtigten per Brief. Einige Beschäftigte waren mit diesem Vorgehen nicht einverstanden: Mehrere Arbeitnehmer fochten die Betriebsratswahl an, weil sie Verstöße gegen das Wahlrecht sahen. Ihr Kernvorwurf war, der Wahlvorstand habe unzulässig Briefwahl für alle im Homeoffice und in Kurzarbeit ermöglicht, obwohl die Wahlordnung das so nicht vorsieht. Das Arbeitsgericht (erste Instanz) gab den Anfechtern Recht und erklärte die Wahl für unwirksam. Das Landesarbeitsgericht sah hingegen keine groben Verstöße und wies die Anfechtung ab. Schließlich musste das Bundesarbeitsgericht die Streitfrage klären.

Das BAG hob das Berufungsurteil auf und verwies den Fall zurück zur neuen Entscheidung – gab den anfechtenden Arbeitnehmern also teilweise Recht. Das BAG stellte zunächst klar, dass die Wahlordnung abschließend regelt, wann Briefwahl zulässig ist. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 der Wahlordnung muss der Wahlvorstand von sich aus Briefwahlunterlagen an diejenigen Beschäftigten schicken, von denen bekannt ist, dass sie wegen der Eigenart ihres Arbeitsverhältnisses zum Wahlzeitpunkt nicht im Betrieb anwesend sein können. Das bedeutet: Wer während der Wahl z. B. auswärts eingesetzt ist, dauerhaft im Außendienst arbeitet oder – wie hier relevant – vorübergehend mobil von zu Hause arbeitet oder in Kurzarbeit vollständig abwesend ist, darf automatisch per Brief wählen, ohne einen Antrag zu stellen. Das BAG hat klargestellt, dass vorübergehende Homeoffice-Arbeit und Kurzarbeit unter diese Regel fallen – schließlich sind diese Beschäftigten zum Wahlzeitraum tatsächlich nicht vor Ort im Betrieb. Insofern war das Vorgehen des Wahlvorstands grundsätzlich zulässig: Es durfte allen bekannten Homeoffice-Mitarbeitern und allen aktuell wegen Kurzarbeit abwesenden Kollegen Briefwahl ermöglicht werden, um ihre Stimmabgabe sicherzustellen. Allerdings gab es einen wichtigen Vorbehalt: Das Gericht konnte anhand der bisher festgestellten Tatsachen nicht beurteilen, ob der Wahlvorstand womöglich zu viele Briefwahlunterlagen verschickt hatte – nämlich auch an Beschäftigte, die zwar grundsätzlich im Homeoffice arbeiten durften, aber im konkreten Wahlzeitraum doch im Betrieb anwesend sein mussten oder waren. Sollte der Wahlvorstand auch solchen Personen Briefwahl gewährt haben, die entgegen der Annahme nicht abwesend waren, wäre das ein Verstoß gegen § 24 WO. Der Fall wurde daher ans LAG zurückverwiesen, um festzustellen, ob es solche Fälle gab.

Und nochmals VW - Betriebsratsvergütung: Wer kürzt, muss beweisen!

BAG | 7 AZR 46/24

In diesem Fall geht es um die Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds, also eines Mitarbeiters, der vollständig von seiner Arbeitspflicht entbunden ist, um Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen. Konkret handelt es sich um einen Mann, der seit über 40 Jahren bei Volkswagen beschäftigt und seit 2002 Mitglied des Betriebsrats im VW-Konzern ist. Seit 2002 ist er komplett freigestellt, d. h. er arbeitet nicht mehr aktiv als Angestellter in seiner ursprünglichen Position, sondern widmet sich voll der Betriebsratsarbeit. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz dürfen Betriebsratsmitglieder nicht schlechter gestellt werden als vergleichbare Arbeitnehmer in ihrer beruflichen Entwicklung. Tatsächlich wurde dem Kläger bei Volkswagen über Jahre hinweg sein Gehalt regelmäßig erhöht, so als würde er in seiner Karriere voranschreiten, obwohl er ja nur Betriebsratsarbeit leistete. Er stieg von seiner ursprünglichen Entgeltgruppe (Entgeltstufe 13 nach Haustarif) stufenweise hoch und erhielt ab 2015 die Vergütung der Entgeltstufe 20. Dies geschah jeweils per Mitteilung des Arbeitgebers, der erklärte, man passe sein Gehalt analog zu vergleichbaren Kollegen an (§ 37 Abs. 4 BetrVG sieht so etwas vor). 2015 bot man ihm sogar eine höhere Stelle (Fertigungskoordinator) an, die er jedoch wegen seiner Betriebsratstätigkeit nicht antreten konnte – was impliziert, dass er ohne Betriebsratsamt weiterbefördert worden wäre. Dann kam der Einschnitt: Im Jahr 2023, nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs zur möglichen Strafbarkeit überhöhter Betriebsratsvergütungen, überprüfte VW sämtliche Gehälter der freigestellten Betriebsräte. Man kam beim Kläger zum Schluss, dass die Einstufung in 20 zu hoch sei. Sein Gehalt wurde drastisch rückgestuft auf Entgeltstufe 18, und zwar wurde sogar rückwirkend für einige Monate die „überzahlte“ Summe von ihm zurückgefordert. Ab Februar 2023 bekam er entsprechend weniger Geld (zunächst ES 17, dann ES 18). Der Betriebsrat sah darin eine unzulässige Schlechterstellung. Er verlangte vor Gericht die Zahlung der Differenzbeträge, die Rückzahlung des eingeforderten Betrags und die Feststellung, dass VW verpflichtet ist, ihm weiterhin Gehalt nach der (höheren) Stufe 20 zu zahlen. Seine Begründung: Einerseits habe der Arbeitgeber ihm die höheren Entgeltstufen ja selbst zugesagt (Anpassungsmitteilungen) – darauf habe er vertraut. Andererseits sei es auch vom Grundsatz her seine hypothetische Karriere, etwa in die Rolle des Fertigungskoordinators, die dieses Gehalt rechtfertige. Das LAG Niedersachsen gab dem Kläger teilweise Recht, allerdings auf etwas anderer Grundlage (§ 78 BetrVG, Benachteiligungsverbot wegen Betriebsratstätigkeit, statt direkt § 37 Abs. 4 BetrVG). Beide Seiten zogen gegen das Urteil vor das BAG: VW wollte die Klage komplett abweisen lassen, der Kläger wollte die für ihn noch offenen Punkte erstreiten.

Das BAG hat das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und den Fall zurückverwiesen – mit klaren Leitlinien zugunsten des Betriebsratsmitglieds. Grundsätzlich bestätigte das Gericht den hohen Schutz freigestellter Betriebsräte: Sie dürfen in ihrer Entlohnung nicht hinter vergleichbaren Kollegen zurückbleiben. Interessant ist vor allem die Aussage zur Beweislast: Normalerweise muss ein Betriebsratsmitglied, das mehr Gehalt will, darlegen, dass vergleichbare Arbeitnehmer (mit ähnlicher Position, Erfahrung etc.) in der Zwischenzeit mehr verdienen – was oft schwierig ist. Hier hatte aber der Arbeitgeber selbst dem Kläger jahrelang höhere Eingruppierungen gegeben und diese ausdrücklich mit § 37 Abs. 4 BetrVG begründet. Das BAG entschied: Wenn ein Arbeitgeber eine Gehaltserhöhung gewährt hat und dem Betriebsratsmitglied damit signalisiert hat, dies sei korrekt nach dem Gesetz, kann er nicht einfach später einen Rückzieher machen, ohne das plausibel zu beweisen. Konkret: Die Beweislast dafür, dass diese früheren Gehaltserhöhungen ein Fehler waren, liegt beim Arbeitgeber. VW muss also nachweisen, dass der Sprung bis Entgeltstufe 20 objektiv ungerechtfertigt war – zum Beispiel indem sie darlegen, dass kein vergleichbarer Mitarbeiter so hoch eingruppiert wurde oder dass man dem Kläger zu Unrecht eine „Hypo¬theken¬karriere“ angedichtet hat. Erst wenn dieser Nachweis gelingt, darf überhaupt darüber nachgedacht werden, ob dem Kläger „nur“ aufgrund des Benachteiligungsverbots (§ 78 BetrVG) ein Ausgleich zusteht. Das BAG wies außerdem darauf hin, dass § 78 BetrVG eine eigene Anspruchsgrundlage sein kann: Sollte also VW mit stichhaltigen Gründen belegen, dass ES 20 wirklich überhöht war, könnte immer noch ein Anspruch des Klägers bestehen, nicht wegen der Betriebsratstätigkeit schlechter bezahlt zu werden – etwa weil er die angebotene Beförderung nicht wahrnehmen konnte. In jedem Fall darf das Betriebsratsmitglied nicht durch seine Freistellung ins Hintertreffen geraten. Das Urteil des BGH vom Januar 2023 (strafrechtliche Seite der überhöhten BR-Vergütung) ändert laut BAG daran nichts; das arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbot bleibt davon unberührt.

Transparenz für Betriebsratsmitglieder: Bonus-Check erlaubt

LAG Düsseldorf |- 12 Sa 817/23

Auch hier steht ein Betriebsratsmitglied im Mittelpunkt, allerdings mit Blick auf variable Vergütungsbestandteile und Auskunftsrechte. Ein Arbeitnehmer war Mitglied des Betriebsrats und zur Erfüllung seiner Aufgaben von seiner Arbeitspflicht teilweise oder vollständig freigestellt. Normalerweise erhalten vergleichbare Angestellte seines Unternehmens nicht nur ein Grundgehalt, sondern auch leistungsabhängige Boni und sogar Aktien bzw. Aktienrechte (Restricted Stock Units, RSUs) als Teil der Vergütung. Das Betriebsratsmitglied nahm an diesen Leistungsprogrammen offenbar nicht (oder nicht voll) teil, weil er ja keine individuelle Zielvorgaben in seiner Rolle als Betriebsrat erfüllen konnte. Er vermutete jedoch, dass er bei normaler beruflicher Tätigkeit diese Boni und Aktienzuteilungen bekommen hätte – also verlangte er im Grunde den Ausgleich dafür, um nicht finanziell schlechter gestellt zu sein. Um seinen Anspruch beziffern zu können, forderte er vom Arbeitgeber Auskunft: Er wollte wissen, welche Zielerreichungsgrade vergleichbare Kollegen in den relevanten Jahren erreicht hatten (um daraus einen Durchschnittswert für seinen entgangenen Bonus abzuleiten). Außerdem verlangte er Informationen darüber, wie viele Aktien (RSUs) und in welchem Wert an seine Vergleichsgruppe von Kollegen ausgegeben wurden. Sein Anliegen brachte er als sogenannte Stufenklage vor Gericht – zuerst die Auskunft verlangen, um dann im nächsten Schritt Zahlungsansprüche geltend zu machen. Der Arbeitgeber weigerte sich, insbesondere aus Datenschutzgründen: Die Leistungsdaten und Aktienzuteilungen anderer Mitarbeiter seien personenbezogene Daten, die er nicht einfach offenlegen dürfe. Außerdem war er wohl der Ansicht, das Betriebsratsmitglied habe keinen Anspruch auf solche variablen Zahlungen, da es ja nicht am Zielerreichungsprozess teilgenommen habe.

Das LAG Düsseldorf stellte sich auf die Seite des Betriebsratsmitglieds und formulierte in seiner Entscheidung Leitsätze, die deutlich machen: Ein freigestellter Betriebsrat darf bei variabler Vergütung nicht leer ausgehen. Im Einzelnen hat das Gericht ausgeführt: Nach dem Lohnausfallprinzip des § 37 Abs. 2 BetrVG (das besagt, dass Betriebsratsarbeit ohne Verdiensteinbuße erfolgen muss) kann ein Betriebsratsmitglied auch Anspruch auf variable Vergütungsbestandteile haben, so als ob es seine Arbeitsziele erreicht hätte. Aber wie bestimmt man die Zielerreichung, wenn der Betreffende gar keine eigenen Ziele hatte? Das LAG sagt: Als Indiz kann der durchschnittliche Zielerreichungsgrad einer vergleichbaren Gruppe von Arbeitnehmern dienen. Mit anderen Worten schaut man sich an, wie die Kollegen in ähnlicher Position im Schnitt abgeschnitten haben – etwa haben sie 90% ihrer Ziele erreicht? – und unterstellt diesen Wert für das Betriebsratsmitglied als „hypothetische“ Leistung. Um diesen hypothetischen Bonus einfordern zu können, hat der Betriebsrat einen Anspruch darauf, vom Arbeitgeber Auskunft über die Ergebnisse der Vergleichsgruppe zu erhalten. Der Arbeitgeber darf sich hier nicht auf Datenschutz zurückziehen: Zwar handelt es sich um personenbezogene Daten der Kollegen, aber das Gericht stellte klar, dass eine Weiterverarbeitung dieser Daten zu Auskunftszwecken zulässig sein kann (Art. 6 Abs. 4 DSGVO), weil es um die Durchsetzung eines rechtmäßigen Anspruchs geht. Die Auskunft darf auch detailliert sein, z. B. die einzelnen Zielerreichungsgrade namentlich oder personifiziert aufführen, sofern das nötig ist. Ähnliches gilt für die Aktien: Das Gericht erläuterte, welche Anforderungen an die Auskunft über Anzahl und Wert der an die Vergleichsgruppe ausgegebenen RSUs zu stellen sind. Auch hier entschied das LAG, dass der Arbeitnehmer konkret erfahren darf, welcher Kollege wie viele Aktienrechte erhalten hat. Nur so kann er schließlich berechnen, was ihm eventuell entgangen ist. Insgesamt wurde der Arbeitgeber also verpflichtet, umfassende Auskünfte zu erteilen. Gegen das Urteil ist inzwischen eine Revision beim BAG anhängig, was zeigt, dass die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.

Good Night & Good Luck
Ihr, euer Dr. Stephan Grundmann
und Team Arbeitsrecht