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August 2024

Steine statt Brot? - Das Reförmchen zur BR-Vergütung bringt was?

Stand heute: Man weiß es nicht genau. Wie sagt man: „Die Rechtsprechung wird´s schon richten“. Und das muss sie auch. Denn nachdem die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, die bei namhaften und uns allen bekannten Unternehmen (VW?) geübte Praxis der BR-Vergütung in die Vorinstanz zur erneuten Prüfung zurückverwies, weil man Anhaltspunkte für strafrechtliches Verhalten der Beteiligten sah, war die Aufregung groß, die Verwirrung noch größer und die Verweigerungshaltung der Arbeitgeber in Anbetracht der Rechtsunsicherheit am allergrößten.

Aufgrund der Strafdrohung mochte kein Arbeitgeber mehr die Vergütung anfassen. Teils wurden gefundene Lösung zurückgedreht und die Betriebsräte klagten. Und so kreiste eine Expertenkommission. Und der Expertenberg, unter dem Vorsitz von Herrn Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts – na das ist ja relativ fachnah…. gebar zwei putzige kleine Labormäuse:

In § 37 Abs. 4 BetrVG werden folgende Sätze ergänzt:

„Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Satz 1 ist auf den Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes abzustellen, soweit nicht ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung vorliegt. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; Gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.“

In § 78 BetrVG wird folgender Satz ergänzt:

„Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Arbeitsentgelt nicht vor, wenn das Mitglied einer in Satz 1 genannten Vertretung in seiner Person die für die Gewährung des Arbeitsentgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.“

Nun ja, eine Maus ist es nicht, aber Galaxien vom eigentlich dringend notwendigen großen Wurf entfernt. Denn die Kritik aus den Reihen der Praktiker macht sich vor allem daran fest, dass der Regelungsgehalt in Anbetracht des tatsächlichen Praxisbedürfnis sehr überschaubar ist und die gesetzliche Neuregelung in erster Linie eine nur schwer als Straftat zu qualifizierende Bezahlung zum Vorteil der Unternehmen und der handelnden Personen zulässt. Diese sollen vor Strafverfolgung geschützt werden. Nur der in der betrieblichen Praxis häufig auftretende Sachverhalt der Benachteiligung von Betriebsräten durch die Festlegung einer zu geringen Vergütung sowie die besonders wichtige Frage der variablen Vergütung werden nicht geklärt.

Beides: Zu viel oder zu wenig ist gut möglich, denn „die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden“. Einzelnen Betriebsratsmitgliedern bliebe nur der Weg der Individualklage wegen Benachteiligungen, wenn die fehlerhafte BV an der Wirklichkeit vorbeigeht.

Ein ergänzender Vorschlag war es, die Festlegung zur Vergütung, inkl. Vergleichspersonen, im Zweifel durch Spruch einer Einigungsstelle festlegen zu lassen, wenn keine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zustande kommt. Ist leider nicht passiert.

Hier sehr ich aber neben den weiteren Grundfragen der Lohngestaltung sowie bei Streit über variable Lohnbestandteile eine erstreitbare Zuständigkeit der Einigungsstelle gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG.
Was macht übrigens die Regelung der Arbeitszeit – angekündigt etwa 2019? – man weiß es nicht mehr …

Fehlerhafte Sozialauswahl bei schrittweise Betriebsstillegung

LAG Düsseldorf | Urteil vom 09.01.2024 | Az. 3 Sa 687/23

Eine Firma die zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigte, meldete Insolvenz an. Ende 2022 sprach sie schließlich allen Beschäftigten betriebsbedingte Kündigungen aus. In der Folge wurden alle Mitarbeitenden unwiderruflich freigestellt – außer 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das sogenannte Abwicklungsteam bildeten. Auch diesen Mitarbeitenden wurde schrittweise bis Juni 2023 gekündigt. Ein Mann, der seit über zehn Jahren bei dem Unternehmen beschäftigt und Teil des Abwicklungsteams war, wollte seine zum 31. März ausgesprochene Kündigung nicht akzeptieren und zog vor Gericht.

Nach Ansicht des LAG Düsseldorf war die Kündigung unwirksam.

Die Kündigung war aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG rechtsunwirksam. Bei einer etappenweisen Betriebsstilllegung habe der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es seien grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmenden mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen. Laut LAG hat das Unternehmen die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil es die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hat – nämlich insbesondere anhand der ursprünglich ausgeübten und nicht anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten. Das Unternehmen habe nicht hinreichend dargelegt, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl sei deswegen nicht widerlegt worden. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Anwar El Ghazi und der propalästinensische Instagram-Post

Anwar El Ghazi hat seinen Vertrag beim 1. FSV Mainz 05 fristlos gekündigt und einen neuen Vertrag bei Cardiff City unterschrieben.

Dies geschah nach einem erfolgreichen Rechtsstreit, bei dem das Arbeitsgericht Mainz die fristlose Kündigung des Vereins für unwirksam erklärte. Und wie das nun einmal bei fristlosen Kündigungen so der Fall ist, stellt der Arbeitgeber nach Ausspruch der Kündigung auch die Gehaltszahlungen ein. Doch unser Fußballer bot weiterhin seine Leistungen an und setzte den FSV Mainz damit in Verzug. Für den Fall, dass seine Klage Erfolg hat, hat er Anspruch auf Zahlung seines Gehalts für die Dauer der Kündigungsschutzklage. Und das sind in seinem Fall mal eben 150.000 € pro Monat.

Der Verein hatte El Ghazi ursprünglich wegen eines propalästinensischen Instagram-Posts gekündigt. Anwar El Ghazi hatte auf Instagram einen Beitrag geteilt, der den Satz “Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein” enthielt. Diese Redewendung wird oft von der Hamas verwendet und impliziert, dass Palästina sich vom Jordan bis zum Mittelmeer erstrecken sollte, was Israels Existenzrecht infrage stellt und gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Konflikte einiges an Brisanz enthält.

Der Beitrag wurde als israelfeindlich wahrgenommen und führte dazu, dass Mainz 05 El Ghazi zunächst suspendierte und später seinen Vertrag kündigte.
Im Fall von Anwar El Ghazi gegen den 1. FSV Mainz 05 gab es mehrere rechtliche Argumente, die zu seiner Wiedereinstellung führten:
1. Meinungsfreiheit: Das Arbeitsgericht Mainz entschied, dass El Ghazis Instagram-Post von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Der Post wurde als Ausdruck seiner persönlichen Meinung betrachtet und nicht als eine Pflichtverletzung, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde.
2. Treuepflicht: Das Gericht stellte fest, dass El Ghazi dadurch keine Treuepflicht verletzt habe. Eine solche Pflichtverletzung wäre notwendig gewesen, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
3. Frist für Kündigungsgründe: Das Gericht stellte fest, dass der Verein die Kündigung nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von 14 Tagen nach Bekanntwerden des Kündigungsgrundes ausgesprochen hatte.

Diese Argumente führten dazu, dass das Arbeitsgericht die fristlose Kündigung für unwirksam erklärte. Wobei für mich das Versäumen der Frist der größte faux pas ist – na ja, mitunter „macht man erst mal“ und geht dann zum Anwalt….
Daher wurden El Ghazi rund 1,7 Millionen Euro an offenen Gehältern und Bonuszahlungen zugesprochen. Zudem wurde entschieden, dass er als Lizenzspieler weiterbeschäftigt werden muss.

Ich bekomme weniger Gehalt als die männlichen Kollegen??

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg | Urteil vom 19.06.2024 | Az. 4 Sa 26/23

Eine Arbeitnehmerin sah sich mit Blick auf ihr Arbeitsentgelt gegenüber ihren männlichen Kollegen benachteiligt. Ihre Klage vor dem LAG Baden-Württemberg auf mehr Geld – entsprechend der männlichen Vergleichsgruppe – für das Jahr 2021 – hatte Erfolg. Das LAG hat ihr mit Blick auf § 3 Abs. 1 EntgTranspG (teils) eine höhere Vergütung für das Jahr 2021 zugesprochen.

Jedenfalls die Gehaltsbestandteile Grundgehalt und Dividendenäquivalent seien bei der Klägerin geringer als beim Median ihrer männlichen Vergleichsgruppe, so das LAG weiter. Eine derartige Vergütungsdifferenz sei ein Indiz für eine Verletzung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit. Die entsprechende Vermutung müsse die Arbeitgeberin im Sinne eines Vollbeweises widerlegen, indem sie nachweise, dass ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung der Klägerin geführt haben. Zulässige andere Gründe wären beispielsweise geschlechtsunabhängige Differenzierungen nach der Berufserfahrung, nach dem Dienstalter oder nach der Qualität der Arbeit gewesen.

Das sei ihr aber nicht gelungen, entschied das Gericht. So hatte sich die Arbeitgeberin zwar darauf berufen, dass die männlichen Kollegen der Klägerin durchschnittlich etwas länger im Unternehmen beschäftigt seien und dass die Klägerin unterdurchschnittlich „performed“ hätte. Das reichte dem LAG nicht aus. Denn aus den Angaben der Arbeitgeberin ging laut LAG nicht hervor, wie sie die Kriterien „Berufserfahrung“, „Betriebszugehörigkeit“ und „Arbeitsqualität“ im Einzelnen bewertet und wie sie diese Kriterien zueinander gewichtet hatte. Damit hatte sie keine Tatsachen angegeben, die eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung der Einhaltung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit durch die Gerichte ermöglicht hätten. Dies wirkte sich zu ihren Lasten aus.

Das „Potsdamer Treffen“ ist kein Grund für eine Kündigung

Arbeitsgericht Köln | Urteil vom 03.07.2024 | Az. 17 Ca 543/24

Die Stadt Köln durfte einer Mitarbeiterin nicht kündigen, nur weil diese am sogenannten Potsdamer Treffen teilgenommen hatte. Das hat das Arbeitsgericht Köln auf die Kündigungsschutzklagen der 64-Jährigen hin entschieden.

Die Stadt hatte die Frau mehrfach – WARUM MEHRFACH??? – gekündigt, nachdem sie von deren Teilnahme an dem Treffen in Potsdam erfahren hatte. Dort haben radikale Rechte über einen „Masterplan für Deutschland“ gesprochen.

Weil die Mitarbeiterin schon über 20 Jahre bei der Stadt angestellt ist, konnte die Stadt ihr nicht mehr ordentlich kündigen und sprach deshalb eine außerordentliche Kündigunge aus. Nach Ansicht der Stadt hatte sie mit ihrer Teilnahme gegen ihre Loyalitätspflicht gegenüber ihrem Arbeitgeber verstoßen. Dies sah das Arbeitsgericht aber anders.

Allein die Teilnahme an dem Treffen rechtfertigte im konkreten Fall allerdings keine außerordentliche Kündigung, entschied das ArbG nun. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sei nicht gegeben. Die Mitarbeiterin treffe aufgrund ihrer konkreten Tätigkeit keine gesteigerte politische Treuepflicht, sondern nur eine einfache, teilte das Gericht mit. Geschuldet sei wegen der konkreten Position bei der Stadt lediglich ein solches Maß an politischer Loyalität, das für die funktionsgerechte Verrichtung der Tätigkeit unabdingbar sei.

Ein Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele, etwa durch Wortbeiträge im Rahmen des Treffens, habe die beklagte Stadt Köln nicht behauptet, so das Gericht.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden.

Zustimmungsverweigerung des BR´s wegen fehlender Provisionserläuterung

LAG Niedersachsen | Beschluss vom 08.05.2024 | Az. 2 TaBV 81/23

Der Arbeitgeber wollte einen außertariflichen Außendienstmitarbeiter mit Dienstfahrzeug in den Innendienst auf eine neu geschaffene Stelle im Backoffice versetzen. Sein Grundgehalt sollte unverändert bleiben, für den abzugebenden Dienstwagen sollte eine Kompensation gezahlt werden und die Provisionsregelung sollte auch fortgelten. Der Betriebsrat sah sich vom Arbeitgeber nicht umfassend genug unterrichtet und verweigerte seine Zustimmung zu der Versetzung. Insbesondere wäre in der Provisionsfrage von einer Benachteiligung des betroffenen Arbeitnehmers auszugehen – § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG.

Im Zustimmungsersetzungsverfahren gab das Arbeitsgericht Hannover dem Antrag des Arbeitgebers statt und entschied, die Anhörung sei ordnungsgemäß erfolgt und es gebe keinen Verweigerungsgrund für die Zustimmung des Betriebsrats. Das LAG Niedersachsen gab der Beschwerde statt und entschied, der Betriebsrat habe seine Zustimmung zu der geplanten Versetzung zu Recht verweigert.

Die Provisionsregelung war im Wesentlichen eine Umsatzprovision für die Akquise von Aufträgen im Vertriebsaußendienst. Da der Betroffene auf seiner neuen Stelle gar keine Aufträge mehr akquirieren sollte, wäre dort dessen Möglichkeit zur Provisionserzielung entfallen. Daran änderten auch die nachträglich vorgetragenen Lösungen nichts, die bisherigen Umsatzzahlen einzufrieren und Provisionsabschlagszahlungen zu leisten.

Der Betriebsrat ist darüber zu unterrichten, wenn es bei einer Versetzung zum Wegfall von Provisionsmöglichkeiten kommt. Hieran fehlt es vorliegend aber, denn die konkreten Folgen der Versetzung des Mitarbeiters hinsichtlich seiner möglichen Provisionsansprüche hat die Arbeitgeberin dem Betriebsrat nicht mitgeteilt. Sie hat es unterlassen, dem Betriebsrat gegenüber anzugeben, in welcher Höhe der Arbeitnehmer, der während seiner Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter Provisionen gemäß der Vertriebsprovisionsregelung erzielen konnte, bislang Provision erhalten hat und wie groß für ihn der Nachteil durch eine möglicherweise entfallende Provisionsmöglichkeit ist.

Die geplante Versetzung in den Innendienst ist daher eine ungerechtfertigte Benachteiligung des Betroffenen. Das Gericht stellte außerdem klar, dass es für eine vollständige Unterrichtung des Betriebsrats keinesfalls ausreicht, auf eine unveränderte Provisionsregelung zu verweisen. Der Arbeitgeber muss konkret vorrechnen, welche Provision der Betroffene bisher erzielt hat und mit welcher Provision auf der Versetzungsposition zu rechnen ist.

Inflationsausgleich in der Elternzeit?

Landesarbeitsgericht Düsseldorf | Urteil vom 14.08.2024 | Az. 14 Sa 303/23

Eine Arbeitnehmerin klag­te, weil ihr wäh­rend ihrer El­tern­zeit der ta­rif­lich ver­ein­bar­te In­fla­ti­ons­aus­gleich ver­wehrt wurde, und sah sich als Mut­ter dis­kri­mi­niert. Dies sah das LAG Düsseldorf aber nicht so.

Tarifliche Inflationsausgleichszahlungen dürfen während der Elternzeit ausgesetzt werden, sagt das LAG Düsseldorf. In dem zugrunde liegenden Streitfall hatte eine Beschäftigte im Technischen Dienst einer nordrhein-westfälischen Kommune geklagt, weil ihr ein Inflationsausgleich während ihrer Elternzeit nicht ausgezahlt worden ist. Sie befand sich vom 14.06.2022 bis zum 13.04.2024 in Elternzeit. Ab dem 14.12.2023 bis zum Ende der Elternzeit arbeitete sie mit 24 Wochenstunden in Teilzeit. 

Der Tarifvertrag, in dessen Anwendungsbereich die Beschäftigung der Mutter fiel, sah eine Sonderzahlung zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise im Juni 2023 von einmalig 1.240 Euro sowie weitere Zuschüsse in den Monaten Juli 2023 bis Februar 2024 von monatlich 220 Euro vor. Die Angestellte befand sich von Juni 2023 bis April 2024 in Elternzeit, arbeitete aber ab Mitte Dezember wieder in Teilzeit. Deshalb zahlte ihr die Kommune nur für die Monate Januar und Februar 2024 einen anteiligen Zuschlag.

Grundlage war eine Regelung im Tarifvertrag, wonach an mindestens einem Tag ein Anspruch auf Entgelt bestanden haben muss, um in den Genuss der Sonderzahlung zu kommen. Die Frau war der Meinung, dass sie durch diese Vorschrift als Arbeitnehmerin in Elternzeit unzulässig wegen ihres Geschlechts diskriminiert werde. Schließlich gingen Mütter länger in Elternzeit als Väter. Außerdem sei sie in Elternzeit besonders von den steigenden Preisen betroffen gewesen, weshalb die Regelung dem Zweck des Inflationsausgleichs zuwiderlaufe.

Die Regelung im Tarifvertrag verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, befand das LAG. Die Differenzierung sei sachlich gerechtfertigt und auch nicht mittelbar diskriminierend gegenüber Frauen, da der Inflationsausgleich nicht zuletzt einen Vergütungszweck verfolge und daher auf die Arbeitsleistung bezogen sei. Wird eine solche im fraglichen Zeitraum nicht erbracht, besteht eben kein Anspruch.

Das LAG hat die Revision zugelassen.

Auch nach Kündigung musst du dich schon um Arbeit bemühen

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz | Urteil vom 30.01.2024 | Az. 8 Sa 71/23

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz befasste sich mit der Frage des böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG.

Doch was heißt „böswilliges Unterlassen“? Es ging dabei um die notwendigen Eigenbemühungen des Arbeitnehmers nach einer fristlosen Kündigung und die dazu bestehende Darlegungslast des Arbeitgebers. Erhält ein Mitarbeiter eine fristlose Kündigung, so stellt der Arbeitgeber unverzüglich die Gehaltszahlungen ein. Erhebt der Mitarbeiter Kündigungsschutzklage und bietet sogleich seine Arbeitsleistung an, setzt der den Arbeitgeber damit in den sog. Verzug. Dies führt dazu, dass der Arbeitnehmer – sofern er im Kündigungsschutzprozess obsiegt – rückwirkend Anspruch auf den Verzugslohn für die gesamte Dauer des Prozesses hat. Doch gleichzeitig ist der Arbeitnehmer auch zur Schadensminderung verpflichtet. Heißt, er kann sich nicht einfach zurücklehnen und das Ergebnis des Prozesses abwarten, sondern muss sich ernsthaft um anderweitige Arbeit bemühen um den Schaden (Gehaltszahlung) für den Arbeitgeber so gering wie möglich zu halten.

In diesem Urteil wurde betont, dass der Arbeitnehmer nachweisen muss, dass er sich ausreichend um eine neue Beschäftigung bemüht hat, um einen Anspruch auf fortlaufende Vergütung zu haben. Diese Eigenbemühungen umfassen:
1. Aktive Jobsuche: Der Arbeitnehmer muss nachweisen, dass er regelmäßig nach neuen Stellenangeboten sucht und sich darauf bewirbt.
2. Dokumentation der Bemühungen: Es ist wichtig, dass der Arbeitnehmer seine Bewerbungsaktivitäten dokumentiert, z.B. durch Kopien von Bewerbungen, Absagen oder Einladungen zu Vorstellungsgesprächen.
3. Angemessene Bemühungen: Die Bemühungen müssen in einem angemessenen Verhältnis zur Qualifikation und den bisherigen Tätigkeiten des Arbeitnehmers stehen. Es reicht nicht aus, sich nur sporadisch oder auf unpassende Stellen zu bewerben.

Das Gericht stellte klar, dass der Arbeitgeber die Beweislast trägt, um zu zeigen, dass der Arbeitnehmer diese Bemühungen böswillig unterlassen hat.

Schwangere brauchen eine längere Frist

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 27.06.2024, Az. C-284/23

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs betrifft den Kündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen. Der EuGH entschied, dass die Zweiwochenfrist für die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage zu kurz ist und gegen EU-Recht verstößt. Schwangeren Arbeitnehmerinnen muss eine angemessene Frist eingeräumt werden, um ihre Kündigung vor Gericht anfechten zu können. Das Urteil enthält dabei mehrere wichtige Punkte:

1. Angemessene Frist für Kündigungsschutzklagen: Der EuGH entschied, dass die Zweiwochenfrist für die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage für schwangere Arbeitnehmerinnen zu kurz ist und gegen EU-Recht verstößt. Schwangeren Arbeitnehmerinnen muss eine längere Frist eingeräumt werden, um ihre Kündigung vor Gericht anfechten zu können.
2. Vergleich mit ordentlicher Frist: Die ordentliche Frist für eine Kündigungsschutzklage beträgt drei Wochen. Der EuGH stellte fest, dass die kürzere Frist von zwei Wochen für schwangere Arbeitnehmerinnen, die erst nach Ablauf der ordentlichen Frist von ihrer Schwangerschaft erfahren, unverhältnismäßig ist.
3. Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen: Das Urteil stärkt den Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen, indem es sicherstellt, dass sie ausreichend Zeit haben, sich rechtlich beraten zu lassen und eine Klage einzureichen.

Der „selten dämliche“ Staatsanwalt

Bundesverfassungsgericht | Beschluss vom 09.02.2022 | Az. 1 BvR 2588/20

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts betrifft eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung eines Staatsanwalts. Der Beschwerdeführer hatte in einem Schreiben an dessen Dienstvorgesetzten einen Staatsanwalt als “selten dämlich” bezeichnet.

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass diese Äußerung durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist, da die strafgerichtliche Verurteilung die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers verletzte. Die Entscheidung wurde aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Landshut zurückverwiesen.

In der Entscheidung wurden mehrere wichtige Aspekte berücksichtigt:
1. Meinungsfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht: Das Gericht betonte die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und dem Persönlichkeitsrecht des betroffenen Staatsanwalts.
2. Kontext der Äußerung: Die Äußerung des Beschwerdeführers wurde im Kontext einer dienstlichen Beschwerde gemacht. Das Gericht stellte fest, dass solche Äußerungen in einem dienstlichen Kontext anders zu bewerten sind als in einem privaten Kontext.
3. Bedeutung der Äußerung: Das Gericht analysierte den genauen Wortlaut und die Bedeutung der Äußerung “selten dämlich” und kam zu dem Schluss, dass diese als zulässige Kritik am dienstlichen Verhalten des Staatsanwalts zu verstehen ist.
4. Verfahrensfehler: Es wurde festgestellt, dass die Fachgerichte die Reichweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit grundlegend verkannt und den Aussagegehalt der streitigen Äußerung unzutreffend ermittelt hatten.

Diese Aspekte führten letztlich zur Aufhebung der strafgerichtlichen Verurteilung und zur Zurückverweisung des Falls an das Landgericht Landshut zur erneuten Verhandlung. Das Landgericht Landshut muss das Verfahren neu „aufrollen“ und neu entscheiden.

Good Night & Good Luck
Ihr, euer Dr. Stephan Grundmann
und Team Arbeitsrecht